(Verfasser Dieter Kaufmann)
Am 13.11. jährt sich der Tod von Karen Silkwood. Zum Mythos wurde sie durch den Autounfall und den langen Prozess, der bis eigentlich bis 2019 immer wieder weitergeführt wurde. Ich habe dazu aktuell was zusammengestellt. Ihr Tod wurde nie endgültig geklärt und die verschwundenen Papiere sind nie wieder aufgetaucht.
Karen Gay Silkwood, (28) *19.02.1946 in Longview, Texas; kam bei einem Autounfall am 13.11.1974 auf der Route 74, ums Leben. Der Sterbeort war Crescent, Bundesstaat Oklahoma, Vereinigte Staaten. Ob Unfall oder Mord blieb ungeklärt. Sie war Laborarbeiterin bei der Firma Kerr-McGee Cimmarron Facility in Oklahoma, USA. Die Atomfirma stellte Brennelemente aus radioaktivem Plutonium her. Karen war auch führendes Mitglied der OCAW Gewerkschaft (Internationale Oel, Chemie und Atomarbeiter Gewerkschaft).
Am Abend ihres Todestags war Karen gerade auf dem Weg, um sich mit dem New York Times Reporter David Burnham und einem Mitglied der OCAW – Zentrale aus Washington D.C. Steve Wodka in einem Hotel zu treffen. Sie hatte einen Aktenkoffer voller Dokumente und einen braunen Umschlag bei sich, die sie ihnen überreichen wollte.
Der offizielle Polizeibericht lautete, dass Karen am Steuer einschlief. Der von der OCAW Gewerkschaft beauftragte Privatdetektiv fand ganz andere Ergebnisse. Er entdeckte, dass Karens Auto angefahren wurde. Außer-dem waren alle Dokumente, die Karen bei sich hatte, verschwunden.
Was wusste Karen Silkwood über die Atomindustrie? Die Atomfirma Kerr-McGee passte genau in die Nachkriegszeit – Atommarktlücke. Schon einige Zeit vor 1946 mit dem Uranbergbau für Atomwaffen tätig, buddelte Kerr-McGee später auch für die Atomindustrie Uran aus der Erde, vorwiegend in Indianer – Reservaten. 1970 baute Kerr – McGee in Oklahoma, nur wenige Kilometer von ihrem Uranabbaugebiet entfernt, eine Plutonium Brennelemente Verarbeitungsfabrik, die Cimmarron Facility hieß. Dort arbeitete Karen Silkwood zwei Jahre später.
Sie wurde mehrfach während der Arbeit radioaktiv verseucht. In der Atomfirma kam es immer wieder zu Unfällen. Die Unfälle gingen auch nach dem Tod von Karen weiter. Zwei Monate nach Karens Tod, im Januar 1975, musste die AEC fast alle Anklagepunkte gegen die Kerr-McGee-Gesellschaft, die Karen im September erfolglos der AEC vorgelegt hatte, anerkennen.
Zum Mythos und Symbol in der amerikanischen Öko- und Friedensbewegung wurde Karen durch ihren mysteriösen Tod und durch die langen Prozesse. Diese konnten erst 1978 eröffnet werden. Sie führten durch den gesamten Instanzenweg bis zum höchsten Gericht der USA. Aber die Frage, ob Karens Unfall wirklich ein Unfall war, konnte nie geklärt werden und bleibt offen. Die Papiere und Dokumente tauchten nie wieder auf.
Die Kerr-McGee Gesellschaft musste später die Tore der Atomfirma Cimmarron Facility schließen, aber die Gesellschaft schaufelte trotzdem noch genug Uran-Profite aus den Indianer – Reservaten ein.
„Karen war eine außerordentliche Frau. Sie ließ sich von der Firma nicht einschüchtern. Sie sagte, was sie dachte, denn sie war sehr mutig. Und – heute wissen wir es – man hat sie nicht genug unterstützt. Aber sie war bereit weiterzumachen, als andere es mit der Angst zu tun bekamen“, so ein Spitzenfunktionär der Atomarbeiter – Gewerkschaft OCAW in dem Nachruf. Aus: „Der Atomstaat“, von Robert Jungk, 1977. (2004)
Karens Vater, Bill Silkwood, erstritt in einem Prozess gegen Kerr-McGee, der sich bis 1986 hinzog, eine Entschädigung in Höhe von 1,3 Millionen US-Dollar. Bill Silkwood ließ sich im Prozess durch den in den USA sehr bekannten und angesehenen Rechtsanwalt Gerry Spence vertreten, welcher sowohl als Verteidiger als auch Ankläger zwischen 1969 und seinem Rücktritt 2014 keinen Prozess verlor. Das Unternehmen bestritt jede Verantwortung für den Tod Karen Silkwoods. Kerr-McGee stieg später aus dem Nukleargeschäft aus und war dann hauptsächlich in der Öl- und Gasförderung tätig. 2006 wurde das Unternehmen von Anadarko Petroleum übernommen und aufgelöst.
Silkwoods Geschichte wurde 1983 im Spielfilmdrama Silkwood mit Meryl Streep in der Hauptrolle verfilmt.
Das 2006 von Anadarko übernommene Unternehmen Kerr-McGee hat in den USA über einen Zeitraum von 85 Jahren mehrere Betriebsgelände verseucht. Es wurden giftige Substanzen ins Grundwasser geleitet und man hat Uran in die Umwelt entweichen lassen. Das Unternehmen hatte versucht, Strafzahlungen zu umgehen, indem die beklagten Bereiche in eine spezielle Firma (Tronox) ausgelagert wurden. Ein Richter entschied im Dezember 2013, dass diese Auslagerung Betrug ist.
Die Ureinwohner vom Stamm der Navajo beklagen, dass Kerr-McGee Gebiete verseucht habe, die sie für religiöse Zeremonien und für die Jagd nutzen. Um Kinder davon abzuhalten, in verseuchtem Wasser zu baden, verteilten die Navajos extra ein Comic-Heft. Zu den Klägern gehörten neben dem Navajo-Reservat im Südwesten der USA die Bundesregierung und elf Bundesstaaten sowie auch Umweltschutzgruppen.
Am 4. April 2014 gab die US-amerikanische Regierung bekannt, dass das Unternehmen der Zahlung einer Rekordstrafe von 5,15 Milliarden US-Dollar (3,76 Milliarden Euro) zugestimmt hat. Ein Vergleich also. Negativschlagzeilen geschrieben hatte das übernommene Unternehmen Kerr-McGee bereits durch eine Serie von Skandalen in der Plutonium-Aufbereitungsanlage Cimarron Fuel Fabrication Site, die durch die Umwelt- und Gewerkschaftsaktivistin Karen Silkwood aufgedeckt wurden. Sie kam 1974 durch einen bis heute unaufgeklärten Verkehrsunfall ums Leben. Ein Spielfilm wurde 1983 dazu verfilmt.
Am 13.08.2019 schließt Occidental Petroleum die Anadarko-Übernahme erfolgreich ab und zahlte dafür satte 55 Milliarden US-Dollar. (2020)
Zusammengestellt
Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main, 12.11.2020
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Eine unvollständige Zusammenstellung von anderen Menschen, die umgekommen sind.
21.08.1945 USA/ New Mexico/ Los Alamos: Harry K. Daghlian, Jr., arbeitet auf dem Omega Gelände der Atomwaffenfabrik in Los Alamos und erzeugt eine überkritische Masse, als er versehentlich einen Wolframcarbid-Klotz auf einen Plutonium-Kern fallen lässt. Obwohl er das Stück sofort wegstößt, wird er bei dem Vorfall schwer verstrahlt und stirbt am 15. September 1945. (Wikipedia, 17.01.2009)
31.07.1977 Frankreich/Malville: 60.000 Menschen aus ganz Europa demonstrieren gegen den Schnellen Brüter; die französische CRS – Polizei verschießt Offensiv- und Gasgranaten in die Menge und tötet den Physiklehrer Vital Michalon. Eine Gasgranate schlug unmittelbar vor ihm in den Boden. Er starb an den Folgen eines Lungenrisses. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, mehrere Menschen wurden verstümmelt und es gab unzählige Verletzte. Sie verloren Hände, Beine und Finger. (Tagesschau der ARD 31.07.1977) Die deutschen Atomkraftgegner*innen waren von ihrem Camp auf dem Weg zum geplanten AKW-Standort. Franzosen kamen panisch zurück auf sie zu gerannt und schrien „Sie bringen uns um“. Die Deutschen versuchten sich über die geschlossene Grenze nach Westdeutschland zu verkrümeln um durch grüne Grenze zu kommen, was nicht so einfach war. So ein mündlicher Bericht eines Atomkraftgegners mir gegenüber. (Eigener Bericht)
06. /07.08.1977 Frankreich/Malville und Umgebung: Von einem französischen Schnellgericht wurden 12 Personen (sieben deutsche Männer, drei Französinnen und zwei Schweizer) aufgrund des „loi anticasseur“ (etwa Vandalismusgesetz) beschuldigt und verurteilt, bei vier Freisprüchen. Das „Malville Komitee“ rief zur Solidarität auf, alleine vor dem Gerichtsgebäude erschienen 2.000 AKW-Gegner*innen. In der BRD, Italien, Belgien, Schweiz und Dänemark fanden sofort vielfältige Solidaritätsaktionen statt. In Frankreich gingen Tausende von Menschen auf die Straße. Unter der Losung „Nous sommes tous des ecologistes allemands!“ (Wir sind alle deutsche Ökologist*innen/AKW-Gegner*innen!). In verschiedenen Städten wurden Gebäude der EdF besetzt, Plakate und Aufrufe zu den Prozessen und dem Mord von Malville erschienen im ganzen Land. (aaa, 82/83, 1997)
Bemerkung: Die französische Regierung versuchte damals alles ausländischen Atomkraftgegner*innen anzuhängen. In Frankreich gäbe es keine Anti-AKW-Bewegung. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ohne die frz. Anti-AKW-Bewegung, hätte es so in (West)Deutschland keine Anti-AKW- und eine breite dauerhafte Umweltbewegung gegeben. Stichwort Wyhl. Auch in der Schweiz, Österreich und Niederlande gab es vorher schon Anti-AKW-Bewegungen. In Kalkar demonstrierten am 28.09.1974 rund 10.000 Holländer*innen gegen den Schnellen Brüter, aber fast kein Mensch aus Westdeutschland. Am Standort Kalkar waren zwei Schnelle Brüter geplant. Es kam anders. Heute ein Hotel mit Wunderland. Das Wunderland Kalkar plant einen Drive-In-Weihnachtsmarkt (Corona, 2020)
Eine erste internationale Zusammenarbeit (Treffen) kam 1971 in Straßburg ohne deutsche Beteiligung zustande. Neben den schon genannten Länder kamen auch Atomkraftgegner*innen aus den USA angereist oder waren gerade in Europa.
14.04.1979 USA/Texas/Houston: AKW-Gegner ermordet. Der Journalist und aktive AKW-Gegner Michael Eakin wurde am erschossen. Kurz zuvor hatte er seine Recherchen über fehlerhafte Inspektionen am AKW Glen Rose abgeschlossen. Dass die texanischen Atomgegner*innen hier nicht zu Unrecht Zusammenhänge vermuten, zeigt eine Serie von Schlägereien, aufgeschnittenen Reifen, kaputtgefahrenen Autos und Oberfällen auf Häuser von Umweltschützern unmittelbar nach dem Mord. (Atomexpress, Nr. 16, Oktober 1979, Seite 23)
02.03.1986 BRD/Bayern/Oberpfalz/Wackersdorf: Erna Sielka (61) stirbt bei einem brutalen Polizeieinsatz an Herzversagen. Ein Hubschrauber, der über dem Platz kreist, wird nicht zur Hilfe gerufen. Es gibt mehrere zum Teil schwer Verletzte durch Hundebisse und Tränengas. (Die Chaoten, Chronik, 1988, und aaa, Nr.77, 1997)
07.09.1986 BRD/Oberpfalz/Wackersdorf: Ein Polizeihubschrauber nimmt die Verfolgung von WAA-Gegner*innen auf. Der Hubschrauberpilot übersieht den herannahenden Zug. Helikopter und Lok kollidieren, gehen in Flammen auf. Der Zugführer kann sich durch einen Sprung retten, fünf Polizisten werden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert, einer von ihnen stirbt (31). (Die Chaoten. Bilder aus Wackersdorf, Chronik, 1988)
07.11.2004 Frankreich: Beim 8. Castortransport starb Sébastien Briat, als er den Castorzug in Ostfrankreich stoppen wollte. Er schaffte es nicht mehr rechtzeitig von den Gleisen zum. Beide Beine wurden ihm abgefahren. Er verblutete an Ort und Stelle. Große Betroffenheit und Trauer bei allen Atomkraftgegner*innen.
21.07.2007 Russland/Ostsibirien: Am 21. Juli 2007 überfiel eine Gruppe von rund 20 russischen Neonazis ein Camp von russischen AKW-Gegner*innen in Sibirien, dabei wurde Ilya Borodajenko erschlagen. Ilya wurde gerade mal 21 Jahre alt. Vier weitere verletzte Atomkraftgegner*innen mussten im Krankenhaus behandelt wer-den. (eigener Bericht)