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Lässt sich ein Atomkrieg noch verhindern?

Die Menschheit hat seit 1945 beträchtliches Glück gehabt. Obwohl eine vernichtende neue Waffe – die Atombombe – entwickelt worden war, wurde sie – nach einem zweimaligen Einsatz – bisher nie wieder im Kriegsfall verwendet. Betrachtet man rückwirkend, wie knapp entsprechende Entscheidungen und Handlungen an einem möglichen Einsatz vorbei gingen, lässt sich nur mit „großem Glück“ charakterisieren. Sachliche Überlegungen oder rationale Abwägungen waren in den entscheidenden Phasen zumindest nicht immer entscheidend.

Aus dem – über lange Zeit stabilen – Kreis der fünf Atommächte sind mittlerweile neun Staaten geworden, die über die Einsatzmöglichkeit von Atomwaffen verfügen. Hinzugekommen sind die sog. „Faktischen“ Atommächte Indien, Pakistan und Nordkorea, die alle drei den Besitz von Atomwaffen zugeben oder sich gar damit brüsten sowie Israel. Deren Besitz von Atomwaffen ist ein offenes Geheimnis, zeitweise verplaudert sich auch mal ein hochrangiger Politiker[1].

Schon der „Kalte Krieg“ drohte zeitweise heiß zu werden. Mehrfach schrammte die Menschheit am Untergang nur knapp vorbei. Neben der bekannten Kubakrise 1961 lösten z.B. am 25. Januar 1995 norwegische Höhenforschungsraketen fast einen russischen Atomschlag aus. Zunächst hielt man in Russland die Raketenstarts in Norwegen für einen Atomangriff der USA, obwohl die Starts den russischen Behörden von Norwegen angemeldet worden waren.[2]

Einen ähnlichen Vorfall hatte es bereits 25. September 1983 gegeben. Ein Computerfehler meldete irrtümlich den Start von fünf US-Atomraketen. Ein Atomkrieg wurde nur deshalb verhindert, weil sich der russische Befehlshaber vor Ort, Oberst Stanislav Petrow – in der berechtigten Annahme, dass die USA einen Atomkrieg nicht mit wenigen Atomraketen starten würden – über sämtliche Vorschriften hinweg setze. Erst nach Ablauf aller „Gegenschlag-Fristen“ wurde der Fehler erkannt: Vermutlich täuschte ein von einer seltenen Wolkenformation reflektierter Sonnenstrahl das sowjetische Warnsystem, der überwachende Satellit deutete den Lichtblitz als Start einer Rakete.[3]

In der heißen Phase des Kalten Krieges wurde ein Atomkrieg nur deshalb nicht geführt, weil selbst bei einem erfolgreichen Erstschlag (dessen sich die USA zeitweise für fähig hielten) die Gefahr eines nuklearen Winters[4],[5] bei nahezu 100 % eingeschätzt wurde.

Mit dem Ende des kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion schien sich die Entwicklung zum Besseren zu wenden. Gleichzeitig nahm jedoch die Gefahr eines lokalen Atomkrieges deutlich zu. Pakistan und Indien standen mehrfach dicht am Rande eines Krieges, der bei drohender Niederlage einer Seite in der Fortsetzung möglicherweise atomar ausgetragen worden wäre. Im Juli 2002 schien die Lage brisanter denn je: So forderten die westlichen Staaten Zehntausende ihrer Bürger auf, den Subkontinent zu verlassen. Englische und amerikanische Diplomaten und politische Emissäre der Europäischen Union belehrten in diesen Tagen pakistanische und indische Politiker mit Geheimdienststudien über die unmittelbaren Folgen eines nuklearen Schlagabtausches: Bei Einsatz aller indischen und pakistanischen Atombomben gegen die Bevölkerungszentren wären ihren Schätzungen nach bis zu zwölf Millionen Menschen ums Leben gekommen.[6]

Neben den genannten Staaten strebten auch Syrien, Libyen, Südafrika, Brasilien, Argentinien und andere nach Atomwaffen, gaben aber mittlerweile in unterschiedlichen Stadien des Fortschrittes die Bestrebungen auf. Im Irak und Syrien wurden Atomanlagen durch Israel bombardiert.[7]

Kadir Khan, der bei seinen Landsleuten als „Vater der pakistanischen Atombombe“ hohes Ansehen genießt, hatte am 4. Februar 2004 im Fernsehen gestanden, in eigener Verantwortung Iran, Libyen und Nordkorea illegal mit atom-industriellen Geräten und Blaupausen beliefert zu haben.[8]

Neben Pakistan/Indien und Nordkorea glimmt die atomare Zündschnur vor allem im Nahen Osten. Vorschläge, wie etwa der von Saudi-Arabien, die Region zur atomwaffenfreie Zone zu machen,[9] werden von Israel und den USA bisher abgelehnt.[10]

Daneben ist der „Terror-Pfad“ eines Atombombeneinsatzes nicht zu unterschätzen. Genügend Material vagabundiert: Insgesamt 550 Fälle von „illegalem Nuklearverkehr“ nennt die IAEO seit 1993, meistens allerdings mit schwach radioaktiven Materialien. In knapp 20 Fällen handelte es sich allerdings um hochangereichertes Material.[11] Im Bonner Plutonium-Ausschuss nannte BND-Präsident Konrad Porzner folgende Zahl: 1994 habe es nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes 169 Fälle von Nuklearkriminalität gegeben.[12]

Greenpeace meldet u. a. das Verschwinden von 30 Kilogramm Plutonium in Sellafield im Februar 2005, 19 Kilogramm Plutonium in Sellafield im Jahr zuvor, das Verschwinden von 37 Uranbrennstäben (= 50 Kilogramm Natururan) 1991 in Karlsruhe sowie einen Schwund von 30 Kilogramm Plutonium in Cadarache in Frankreich im Jahre 2002.[13]

Im Herbst 1998 hatte in Russland Jelzins Sicherheitsberater Lebed zugegeben, dass möglicherweise 40 „atomare Kofferbomben“ verschwunden – vermutlich gestohlen – sind. Allerdings würden „ohne Fachkenntnisse – beispielsweise über den Austausch des schnell zerfallenden Tritiums im Zündungsmechanismus – […] diese Waffen schnell unbrauchbar.“[14] Über den Verbleib des nuklearen Inventars wurde allerdings nicht weiter nachgedacht …

Bereits 2003 wurden in Saudi-Arabien[15] in einem Strategiepapier drei mögliche Optionen diskutiert: Saudi-Arabien könne

        entweder Atomwaffen zur Abschreckung erwerben,

        in eine Allianz mit einem Staat eintreten, der Atomwaffen besitzt und Schutz anbietet (gedacht war offenbar an Pakistan) oder

        per Abkommen die Region atomwaffenfrei machen.[16]

Die Gefahr einer Aufrüstung weiterer Staaten mit Atomwaffen wird sich also kaum verhindern lassen.

Die folgende Szenarien sind innerhalb weniger Jahre –  ja teilweise schon heute – denkbar, sie könnten so oder ähnlich innerhalb kürzester Zeit ablaufen … :

1. (möglicher) Angriff auf die Atomanlagen Irans

Eine große Anzahl israelischer Kampfjets und zehn Bomber und starten und nehmen Kurs auf den Iran. Die Staffel fliegt über Jordanien landeinwärts und überquert dann den Irak. Ziele sind die Anreicherungsanlagen in Arak,  Fordo (Ghom) und Natanz, der Reaktor in Buschehr, der in Bau befindlichen Reaktoren in Arak und die Konversionsanlage (zur Herstellung von UF6) in Isfahan. Die Ziele werden in kurzen Zeitabständen erreicht. In Fordo werden dabei mittels Raketen zwei strategische „Bunker Buster“ B-61-11 (sog. “Mininukes”) eingesetzt, um die unterirdischen Anlagen zu zerstören. Die iranische Regierung spricht von Flächenbombardements und schweren Verlusten in der Zivilbevölkerung und nennt erste Zahlen: So seien bei den Angriffen mehrere Tausend Menschen ums Leben gekommen, zudem sei durch die Bombardierung ziviler Atomanlagen „in großem Umfang Radioaktivität freigesetzt worden“. Eine radioaktive Wolke treibe aufgrund des Südwestwindes auf die Millionenstadt Teheran zu, eine Evakuierung sei unvermeidlich. Ursache sei die Bombardierung in Ghom.

 

2. (möglicher) Atomkrieg Indien – Pakistan

In einer koordinierten Aktion verüben mehrere Terroristengruppen Anschläge in Indien: Aufgrund etlicher Indizien sind die Hintermänner schnell als hohe pakistanische Regierungsmitglieder identifiziert. Indien fordert ultimativ die Auslieferung und droht im Fall der Verweigerung, „sich die Verbrecher zu holen“. Die pakistanische Regierung sieht sich als unschuldig an und lehnt jegliche Verhandlung ab. Nach Ablauf des Ultimatums marschiert die indische Armee mit massiven Panzerverbänden in Pakistan ein. Es kommt an mehreren Stellen zu schweren Gefechten, in denen die pakistanische Armee nach wenigen Stunden vernichtend geschlagen wird. Die pakistanische Regierung verlangt den unverzüglichen Rückzug, andernfalls droht sie mit dem Einsatz von Atombomben gegen indische Städte. Indien lehnt dies ab und droht mit einem Gegenschlag. Pakistanische Mittelstreckenraketen mit Atombomben schlagen in Ahmedabad, Neu Delhi, Bombay und Bhopal ein. Der Gegenschlag Indiens vernichtet zwar alle pakistanischen Millionenstädte, aber nicht die Silos der verbliebenen Atomraketen. So gelingt es der pakistanischen Armee, nochmals 20 Raketen zu starten, bevor die Zentrale in Islamabad verglüht.

 

3. (möglicher) Atomkrieg in Korea

Unter dem neuen Herrscher Kim Jong-uns eskalieren die innerparteilichen Machtkämpfe. Kim Jong-uns sieht seine letzte Chance in einem Angriff auf Südkorea. So wird die südkoreanische Insel Baengnyeong in einem Überraschungsangriff besetzt. Bei militärischen Gegenmaßnahmen wird mit dem Einsatz von Atombomben auf Seoul gedroht. Die Südkoreaner und ihre amerikanische Verbündete schätzen die Lage falsch ein und attackieren dennoch Baengnyeong. Nachdem die Rückeroberung binnen weniger Stunden gelingt, schießt Nordkorea drei mit Atombomben bestückte Kurzstreckenraketen auf Seoul ab. Zwei davon können abgefangen werden, die dritte erreicht ihr Ziel …

 

Diese Szenarien zeigen die Gefahr. Innerhalb weniger Jahre können sich neue Konfliktherde auftun, es sei nur an die Auseinandersetzungen um Inseln im Pazific zwischen China, Taiwan, Japan und den mit den USA verbündeten Philippinnen erinnert.

 

Die Folgen eines begrenzten Atomkrieges

Der IPPNW kommt in einer neuen Untersuchung zum Ergebnis, dass zwei Milliarden Menschen von Hungersnöten bedroht wären, sollte es zu einem Atomkrieg zwischen Pakistan und Indien kommen. Danach würde die Produktion bei der Reisproduktion mit 24 Prozent, bei Mais würde ebenfalls um 24 Prozent, bei Weizen sogar um 50 Prozent sinken. Dadurch wären in China rund eine Milliarde Menschen, also drei Viertel der Bevölkerung vom Hunger bedroht. Grundlage der Untersuchung war die Studie „Climatic consequences of regional nuclear conflicts[17] über die Folgen eines regionalen Atomkriegs der US-Forscher Owen Toon und Alan Robock u.a., die 2006 veröffentlicht wurde. Ihr Szenario ging davon aus, dass Indien und Pakistan insgesamt 100 Atombomben mit einer Sprengkraft von jeweils 15 kt TNT zünden, was in etwa der Stärke der Hiroshima-Bombe entspricht. Millionen Tonnen Ruß würden bis in die Stratosphäre steigen. Zunächst triebe die enorme Hitze großflächiger Feuersbrünste den Dreck in die Höhe, anschließend würden die dunklen Partikel von der Sonne erhitzt und in Höhen von bis zu 60 Kilometer weitergetragen, wo sie sich über den gesamten Globus verbreiteten. Durch die Abdunkelung des Sonnenlichts würde sich die Erde deutlich abkühlen.

Bei dem vorgelegten Szenario läge die globale Durchschnittstemperatur noch drei Jahre nach dem Krieg um 1 bis 1,5 °C unter dem Normalwert. Zum Vergleich: In der „Kleinen Eiszeit“ von 1500 bis 1850 kühlte sich die Luft jeweils nur um ein 0,5 °C ab. Dennoch kam es in beiden Fällen zu verbreiteten Ernteausfällen und Hungersnöten. Zudem würde ein regionaler Atomkrieg die Ozonschicht stark schädigen – in nördlichen Breiten etwa würde sie glatt halbiert. Weiterhin würden Niederschläge deutlich zurückgehen, und das fünf bis zehn Jahre lang.[18]

 

fazit: Schon heute droht jederzeit eine Eskalation hin zu einem begrenzten Atomwaffeneinsatz oder sogar einem Atomkrieg. Die Gefahr wird in den nächsten Jahren ohne aktives Gegenhandeln eher zu- statt abnehmen, die Zahl der Atomwaffenstaaten wird ebenfalls steigen. Daher ist bereits heute ein umgehendes Handeln zur Abrüstungen und gegen die weitere Verbreitung der gesamten Atomtechnik unumgänglich. Eine  Ausweitung der sog. „zivilen Nutzung“ auf weitere Länder (die Anfragen dazu kommen vornehmlich aus Entwicklungsländern wie der Türkei, Libyen (!!!), Kenia[19] …) wird erfahrungsgemäß die Gefahr der Proliferation weiter stark vergrößern. Daher kann die Gefahr eines künftigen Atomkrieges nur wirksam vermieden werden, wenn auch die „zivile Nutzung“ schnellstmöglich auf „Null“ zurück gefahren wird.

P.S.: Hochinteressant ist das Interview des Spiegels mit US-Chefunterhändler den „Start“-Vertrag, Burt. So geht er auf die Gefährdung des Diebstahls von Atomwaffen aus russischen oder amerikanischen Lagern wie Büchel ein, rechnet mit Anschlägen in den USA durch eingeschmuggelte Atombomben, sieht die Gefahr des Übergriffes durch Taliban auf die pakistanischen Atomwaffen … Seine Schlussfolgerungen: „Um wirklich alle Atomwaffen loszuwerden – was ein Prozess von mindestens zwei Jahrzehnten wäre -, müsste es ein strenges Kontrollregime geben. Man bräuchte eine Einigung des Uno-Sicherheitsrats, dass im Falle eines Betrugs die internationale Gemeinschaft handelt – in Form von Sanktionen oder, falls notwendig, militärischer Gewalt.

https://www.spiegel.de/politik/ausland/abruestungsexperte-burt-atomwaffen-notfalls-mit-gewaltverhindern-a-813644.html

 


[1] Am 11. Dezember 2006 hat der israelische Ministerpräsident Olmert in einer öffentlichen Veranstaltung Israel in die Reihe der Atommächte gestellt. (s.a. „Störfall Atomkraft“, VAS-Verlag, S. 27)

[2] Quelle: https://www.atomwaffena-z.info/atomwaffen-glossar/u/u-texte/artikel/814/333a69d84a/index.html
(zitiert nach. „Störfall Atomkraft“, VAS-Verlag, S. 23)

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearer_Winter: EIN mögliches Szenario: „Große Bereiche in Nordamerika und Eurasien, inklusive aller landwirtschaftlich relevanten Gegenden dort, würden sogar mehr als 20 bzw. 30 °C abkühlen. Dieser Effekt hielt für die gesamte Simulationsdauer von 10 Jahren an.

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