Zwecks Sicherung eines gemeinsamen Kenntnisstandes über die Basics ein paar Hinweise:
1. Zu Meldungen wie „Gefahr für Menschen besteht nicht“
Radioaktive Belastung wirkt in zwei völlig unterschiedlichen Weisen:
a) Strahlenkrankheit. Hohe Strahlenbelastung in kurzer Zeit führt zur Strahlenkrankheit, die in wenigen Tagen oder Wochen zum Tod führen kann.
Diese Krankheit ist gut zu diagnostizieren und dem Anlass zuzuordnen. Man vermeidet sie, indem man das Maß an Strahlenbelastung, dem sich Menschen aussetzen müssen, genau beobachtet, und die Exposition rechtzeitig beendet. Entscheidend war das etwa für die Arbeiter, die in Tschernobyl verhindern mussten, dass der glühende Reaktorkern das Grundwasser erreichte. Oder jetzt für Menschen, die u.U. in einem stark radioaktiv belasteten Leitstand aushalten müssen.
Auch bei einem schweren Reaktorunfall kann die Zahl der Fälle von Strahlenkrankheit gering gehalten werden. Dafür ist z.B. die Evakuierung, die in Japan angeordnet wurde, sinnvoll.
Auch Belastungen, die nicht zur Strahlenkrankheit führen, haben allerdings gravierende gesundheitliche Folgen – siehe b.
b) Erkrankung durch gesteigerte allgemeine radioaktive Belastung.
Jede austretende Radioaktivität erhöht die natürliche Strahlenbelastung. Dieser Effekt kann verschwindend gering oder sehr gravierend sein, je nach den Mengen an radioaktivem Material, seiner chemischen Zusammensetzen (Absorptionswege und Einlagerungsverhalten) und seiner Verbreitung (atmosphärische Situation).
Die gesundheitlichen Effekte sind v.a. Krebserkrankungen (häufig Leukämie), und, relevant v.a. bei höheren Dosen wie z.B. besonders exponiertem Personal (siehe a)), Erbschäden. Diese Erkrankungen treten zeitlich versetzt auf, auch noch jahre- und jahrzehntelang nach dem Ereignis.
Diese Auswirkungen sind nicht im Einzelfall kausal zuzuordnen, sondern statistisch und deswegen außerordentlich tückisch. D.h.: In keinem Einzelfall kann man nachweisen, dass die zusätzliche Radioaktivität aus dem Reaktorunfall (wie Tschernobyl) oder, früher, aus den Atombombenversuchen die Ursache für die Erkrankung ist. Sicher ist nur, dass die Zahl der Erkrankungen mit der Strahlenbelastung signifikant steigt. Hier reden wir bei einem Ereignis vom Tschernobyl- Typ über zehntausende betroffene Menschen – potentiell weltweit.
Die bereits amtlich verbreitete Ansage: „Keine Gefahr, Japan ist weit weg“, ist nicht belastbar. Die Stratosphäre macht eine weltweite Verbreitung durchaus möglich. Dazu gibt es auch den Atomtests und Tschernobyl einschlägige Erfahrungen. Über die konkrete Ausprägung zu spekulieren macht m.E. keinen Sinn.
2. Zu Bezeichnung und Charakter des Unfalls.
Ein „GAU“ ist der „Größte anzunehmende Unfall“. Dieser ist definiert als der plötzliche Bruch einer Hauptkühlleitung im doppelten Leitungsquerschnitt. Dies ist ein sehr schwerer und sehr unwahrscheinlicher Unfall, und dafür und für vergleichbare Ereignisse ist jedes AKW ausgelegt. Es bleibt dann, so jedenfalls der Plan, bei lokalen Schäden innerhalb des Reaktors.
Hier geht es um den Super – Gau: Versagen des Kühlsystems und des Notkühlsystems.
Die Schnellabschaltung des Reaktors ist in solchen und ähnlich kritischen Fällen bisher noch jedes mal gelungen (offenbar auch jetzt in Japan) – also das Stoppen des Kernspaltungsprozesses und damit das Vermeiden einer unkontrolierten weiteren Kernspaltung.
Aber auch nach der „Abschaltung“ erzeugt der Reaktorkern noch erhebliche Mengen Energie durch den Zerfall vorhandenen instabiler Atomkerne. Dieses Nachglühen ist mindestens mehrere Tage lang relevant. Versagt in dieser Zeit die Kühlung, frisst sich der glühende Reaktorkern durch sein Gehäuse und erreicht – im schlimmsten Fall – das Grundwasser. Spätestens dann kommt es zu einer Dampfexplosion mit Freisetzung enormer Menge radioaktiv belasteten Materials (in Tschernobyl blieb uns das knapp erspart, und dafür sind viele Arbeiter gestorben).
In Japan drohte eine solche Explosion des Reaktorbehäuses offenbar bereits am Freitag (auch ohne Grundwasser), daher Abblasen von (radioaktiv belastetem) Gas aus dem Druckbehälter. Dies ebenso wie die offenbar aus einem Riß (?) bereits ausgetretenen Materialien (Cäsiumbelastung in der Umgebung wurde gemeldet, von achtfacher Überschreitung der zulässigen Grenzwerte war die Rede) sind zweifelsfrei gesundheitsschädlich (siehe 1b), und es zeigt wie hochkritisch die Lage ist, das steht aber in seinen Auswirkungen in keinem Verhältnis zu dem, was im Falle eines Berstens des Reaktorgehäuses bevorsteht. Dieses Bersten des Reaktorgehäuses ist offenbar noch nicht eingetreten. Ob es verhindert werden kann ist die entscheidende Frage der nächsten Stun´den.
3. Politisch: Es ist jetzt das eingetreten, wovor wir immer, schon vor Harrisburg, gewarnt haben. Es ist furchtbar, so Recht zu behalten.
Die AKW- Lobby wird auf die Besonderheit Japans, das Erdbeben, das wir hier so nicht erwarten, und auf die geographische Entfernung zu orientieren versuchen („In Deutschland kann das nicht passieren“).
Wir sollten in der Verarbeitung nicht nur auf Harrisburg und Tschernobyl, sondern immer auch auf Forsmark hinweisen. Dort ist Schweden ganz knapp an einer solchen Katastrophe vorbei geschrammt. Dass einige der Notkühlpumpen in Forsmark doch angesprungen sind grenzte an ein Wunder, aufgrund eines Konstruktionsfehlers hätten nicht nur wie geschehen die meisten, sondern eigentlich alle versagen müssen, und dann wäre der Super- Gau dort schon eingetreten. Es ist mir unbegreiflich, dass dieses Ereignis damals in Schweden fast gar nicht und in Deutschland sehr wenig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gekommen ist.
Freundlicher Gruß
Reinhard Kaiser, BAG Energie, B90/ Grüne kaiserr@gmx.net