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Akualisierungen des Buches Atom und Politik Entsorgung Hintergründe

Der Spatz auf dem Dach …

Zu dem am 15.12.2016 vom deutschen Bundestag auch mit dem Stimmen der grünen Fraktion (bei 4 Enthaltungen und einer Ablehnung) beschlossenen Gesetz zur Finanzierung des Atomausstiegs stelle ich folgenden Hintergünde und Info ein, angefangen mit einer Stellungnahme grüner Fachpolitiker*innen:

Zum beschlossenen Gesetz zur Kostenregelung der Atomabfälle

In einer ganz großen Koalition  aus schwarz, rot und grün wurde am 15.12.2016 den Atomkonzernen RWE, E.on, EnBW und Vattenfall ein dickes Weihnachtsgeschenk  gemacht. Sie zahlen mit rund 17 Mrd. € endlich die  Gelder für die Entsorgung des Atommülls ein, die sie in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin dafür und mit Gewinnvorteilen für die Unternehmen reservieren mussten. Und für die enormen Zusatzkosten für das – sich ungefähr bis zum Jahrhundertende hinziehende – Mammutprogramm der  Zwischenlagerung, der Planung und Bau des Endlagers  mit Sicherheit zu, haben sie sich mit weiteren 6 Mrd. €  Ablasszahlung  freigekauft.  Hinzu kommt, dass sie auf zwei teure und aussichtsreiche Gerichtsklagen  im Streitwert von rund 11 Mrd. € nicht verzichtet haben. Die Chancen, so die Hälfte der Einzahlungen von den geprellten Steuerzahler*innen zurückzuholen, stehen also gut.

Das Risiko bleibt bei den Steuerzahler*innen und den kommenden Generationen.

Viel Geld ohne Gegenleistung

Dabei hatten die Konzernen Jahrzehnte lang mit der Kernenergie gutes Geld verdient, die Dividenden sprudelten nur so. Sicherheitsauflagen, vor allem nach 9/11, wurden zurückgestellt – aus wirtschaftlichen Gründen zum Schutz der Unternehmen. Die Rückstellungen – die jetzt ebenfalls an den Staat übertragen werden müssen – waren lange Jahre Spielgeld, u.a. für Firmenzukäufe im Ausland und sorgten durch ihre Steuerfreiheit für zusätzliche Gewinne. Gerade erst hat die Bundesregierung die Befreiung von der Brennelementsteuer festgeschrieben. So sind auch für die Restlaufzeiten – die teilweise über das hinausgehen, was in sog. „ersten Konsens“ einvernehmlich, auch damals schon gegen gewaltige Widerstände festgeschrieben wurde – gute Gewinne gesichert

Dass die Fraktion der Grünen einem solchen Finanzdeal zugunsten der Atomkonzerne nicht nur zugestimmt, sondern das entsprechende Gesetz sogar mit eingebracht haben, können wir in keiner Weise nachvollziehen. Ein gravierender politischer Fehler ist es ohnehin. Einige der Unterzeichner*innen haben der Fraktion im Vorfeld schriftlich wie mündlich mit Sachargumenten abgeraten und auch einen Antrag auf die letzte Bundes-Delegiertenkonferenz eingebracht, der als „nicht-behandelt“ in der Versenkung verschwand.

Alle Risiken bei den Steuerzahler*innen

Argumentiert wurde – vor allem von grüner Seite – damit, dass im  Fall eines Konkurses der Unternehmen das Geld „vollständig weg“ sei. Man wollte also lieber „den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ haben. Gingen einzelne oder alle Konzerne in den nächsten Jahrzehnten in Konkurs, wäre die Überlegung zum Teil richtig gewesen. Auch dann wäre aber in diesem Zeitraum wahrscheinlich eine ähnliche Summe – plus die ohnehin dem Staat gehörende Summe der Rückstellungen – fällig und auch zu erlangen gewesen. Geht es den Konzernen – nach Befreiung dieser Last – wieder besser und  schreiben sie in den nächsten Jahrzehnten Gewinne, dann brauchen sie auch bei stark steigenden Kosten (die im Vergleich bescheidenen Projekte Berliner Flughafen, Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie lassen grüßen) davon keinen Cent abzugeben. Mit den Steuerzahler*innen bleiben vor allem die nachfolgenden Generationen, die für das nukleare Desaster nun wahrlich  keine Verantwortung tragen, auf den einmal übernommenen Verpflichtungen sitzen.

Problematisch ist auch der aktuell niedrige Zinssatz, erwartet und zugrunde gelegt wurde ein wesentlich höherer. Bleiben die Zinsen dauerhaft nahe „0“, dann tragen dieses Risiko … die Steuerzahler*innen.

Kostenfalle Zwischenlager

Geblieben ist also faktisch nur der „Spatz auf dem Dach“, haftet doch der Staat – und damit die Steuerzahler*innen – für alle kommenden Probleme: Kostensteigerungen bei der, für Jahrzehnte nötige Zwischenlagerung (in neu zu bauenden Lagern) und beim Bau des Endlagers und bei dessen Betrieb. Unter Umständen werden die heutigen Betreiber dann zum Dienstleister für die Bundesregierung und verdienen mit der Lagerung und Bewachung der von ihnen selbst verursachten Abfälle auch noch Geld. Und die neuen Zwischenlager werden gebraucht, die Betriebsgenehmigung für die aktuellen Lager laufen in absehbarer Zeit aus, weit vor der geplanten Fertigstellung des Endlagers. Und sie werden teuer werden, da beim Neubau alle aktuellen Risiken zu berücksichtigen sind. Dabei liegen in Zeiten von IS und Terrorismus völlig andere Gefahren zugrunde als vor 30 Jahren … und damit um ein Vielfaches höhere Kosten.

Adieu Verursacherhaftung

Das bisher in Deutschland (und im westlichen Rechtssystem) gültige Prinzip der Haftung der Verursacher  wurde nicht nur ad absurdum geführt, es wurde schlicht ausgehebelt bzw. abgeschafft! Das lässt Schlimmes ahnen für die nächsten anstehende „Runde“, den Kohleausstieg. Nachdem sie einmal Blut geleckt haben, werden die Konzerne (teilweise die gleichen) sich auf den Atomausstieg berufen und die gleichen Bedingungen für sich reklamieren.

Fazit

Aus Sicht der Anti-Atom-Bewegung wird der nicht nachvollziehbare Schulterschluss praktisch der gesamten grünen Fraktion (es gab nur eine Gegenstimme und nur vier Enthaltungen) voraussichtlich als Abschied der Grünen von ihrer Gründung als Anti-Atom-Partei gewertet.  Vor allem der erste sog. „Atomkonsens“ zwischen rot-grüner Regierung und den Konzernen und das Abnicken des „Merkel‘schen Atomausstieges“  hatten zu Irritationen und dann in der Folge zu einem deutlichen Abrücken der Bewegung von der Grünen Partei  geführt. Das mühsam in Teilen wieder erreichte Vertrauen wurde durch den Umgang in der End(los)lager-Suchkommission mit Gorleben“ erneut stark strapaziert. Mit dem jetzt erfolgten Schritt zur finanziellen Entlastung der Atomkonzerne – faktisch ohne Gegenleistung – auf Kosten der Allgemeinheit  ist das Band der Grünen zur Anti-Atombewegung erst mal zerschnitten. Eine endgültige Abwanderung der ehemals grünen Wähler*innen zur – in Augen der Bewegung – einzig verbliebenen Anti-AKW-Partei oder zu den Nichtwähler*innen könnte dieses Mal unumkehrbar sein …

Karl-W. Koch
Mitglied von B90/Die Grünen, Energiepolitiker, Fachbuchautor „Störfall Atomkraft“

Hartwig Berger
Mitglied von B90/Die Grünen, Sozialwissenschaftler und früherer Sprecher der BAG Energie

Martina Lammers,
Mitglied von B90/Die Grünen, Energiepolitikerin

Eva Quistorp,
MdEP a.D., Mitgründerin der Grünen

Andreas Knoblauch,
Vorstand KV Salzgitter B90/Die Grünen, Systemanalytiker, Dipl. Mathematiker


Hintergründe und weitere Infos:

Empfehlenswert sich zum Einstieg in die Thematik ist die Begründungsrede von Sylvia bei der Gesetzeseinbringung , zum einen eine wirklich brillante Rede (eine der besten Bundestagsreden, die ich bisher gesehen habe), zum anderen auch vom Inhalt her ausgezeichnet auf den Punkt gebracht. Es erklärt große Teile des grünen Abstimmungsverhaltens, auch wenn ich zu einer anderen Schlussfolgerung (nämlich Enthaltung der grünen Fraktion) gekommen wäre …

Verwiesen sei  auch nochmal auf die beiden leider nicht behandelten BDK-Anträge zu der Thematik:

https://bdk.antragsgruen.de/40/Finanzkompromiss_zur_Entsorgung_nur_bei_vollstaendigem_Atomausstieg-12859

und der danach eingereichte

https://bdk.antragsgruen.de/40/Finanzkompromiss_zur_Entsorgung_und_vollstaendiger_Atomausstieg-27881

Die nächste Sitzung des AK Atom (u.a. mit Sylvia) ist übrigens am 14.1.2017 in Hannover, u.a. auch zu diesem Thema. Der AK tagt grundsätzlich Parteimitglieder offen, die Einladung schicke ich gern zu.

Antrag an die „Atom-BDK“ Karlsruhe 2001

Die Rückstellungen waren eindeutig zweckgebunden in ihrer Endverwertung, also auch bereits bei dem sich abzeichnenden Ende ab 2001 abrufbar gewesen. Einer der schweren Fehler (bei weitem nicht der einzige) beim sog. „Konsens“ 2001 war, das dies nicht gemacht wurde, obwohl damals bereits von der grünen Basis gefordert. So wurde damals der folgenden Änderungsantrag leider knapp abgelehnt:

Änderungs- bzw. Ergänzungsantrag zum Atomleitantrag

Einzufügen                Seite…..              Zeile…..              (Angabe wird nachgereicht, wenn der Leitantrag feststeht. Dieser Änderungs- bzw. Ergänzungsantrag entfällt, wenn diese Positionen im gewählten Antrag bereits enthalten sind)

Rückstellungen
Die aus zusätzlichen zweckgebundenen und steuerbefreiten Gewinnen angelegten Rückstellungen werden in einen, der eigentlichen Aufgabe vorbehaltenen, zweckgebundenen öffentlich kontrollierten Fond überführt. Mittel aus diesem Fond dürfen nur zum Abriss von AKWs und für den Bau und Betrieb von Endlagern verwendet werden. Ab sofort sind auch alle Verzinsungen wieder in diesen Fond anzulegen. Das schließt vor allem die Verwendung für jegliche zweckfremde Nutzungen wie spekulative Firmenübernahmen oder andere Risikogeschäfte aus.
Begründung: Es muß vermieden werden, dass die Kosten am Steuerzahler hängen bleiben, wenn ein Betreiber das Geld in den Sand setzt. Zwar sind die Atomkonzerne schon heute verpflichtet, Rückstellungen für den  teuren Abbau ihrer Anlagen zu bilden. Doch die Verwendung des Geldes steht ihnen  bis zum Zeitpunkt der Stillegung frei zur Verfügung. So konnten die Stromversorger sich mit diesen steuerlich subventionierten Geldern, die sich inzwischen auf 70 Milliarden Mark aufsummieren, in die Abfallwirtschaft, Telekommunikation, Wasserwirtschaft und Rüstungsindustrie einkaufen – in durchaus riskante Geschäfte also. Deshalb ist fraglich, ob die Rückstellungen überhaupt verfügbar sind, wenn sie für den teuren Abbau der Altanlagen benötigt werden. Weitere Begründung erfolgt mündlich.

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