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Hintergründe Terrorgefahr

Westerwelle für weltweiten Atomausstieg?

Innerhalb weniger Stunden gab es am 30.4. ein zweites Negativbeispiel von „ungeprüftem Abschreiben“ und „unreflektiertem Veröffentlichen“:

Nur falsch zu interpretieren ist die Meldung von AFP (die auch sinngemäß am Samstag abend im Heute-Journal gebracht wurde)

Außenminister dringen in Berlin auf atomare Abrüstung

(AFP) – Vor 6 Stunden

Berlin — Vertreter von zehn Staaten haben bei einem Treffen in Berlin ihre Forderung nach weltweiter atomarer Abrüstung unterstrichen. Die „Freunde des Nichtverbreitungsvertrags“ verabschiedeten auf ihrem zweiten Treffen eine Erklärung, in der sie ihren Willen bekräftigen, sich im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrags für die vollständige Beseitigung von Atomwaffen einzusetzen. An der Zusammenkunft in Berlin-Tegel nahmen auf Einladung von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) Vertreter aus Australien, Chile, Japan, Kanada, Mexiko, den Niederlanden, Polen, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten teil.

Westerwelle begrüßte die Ratifizierung des neuen START-Vertrags zur nuklearen Abrüstung zwischen Washington und Moskau und das Bekenntnis des US-Präsidenten Barack Obama zu einer atomwaffenfreien Welt. Zugleich betonte er, „obwohl in den letzten zwei Jahren ein Jahrzehnt des Stillstands bei der Abrüstung endlich überwunden wurde, erleben wir eine Zeit neuer Unsicherheit und neuer Unberechenbarkeit“. Da Terroristen „ohne Zögern ihren abstrusen Ideologien ganze Völker opfern“ würden, müsse verhindert werden, dass spaltbares Material zum Bau schmutziger Bomben in ihre Hände gerate.

Zudem erneuerte Westerwelle seine Forderung nach dem Abzug taktischer Atomwaffen aus Europa. Diese nannte er „ein Relikt des Kalten Krieges“, das keinen militärischen Zweck erfülle. Als Hauptziele der Gruppe nannte er die Ratifizierung des Atomwaffenteststoppvertrags durch Indonesien und die USA, das vollständige Verbot der Produktion spaltbaren Materials, die weitere Verbesserung der Transparenz von Atomarsenalen und die weltweite Anerkennung der Aufsicht durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA).

Wenn also Westerwelle kein neues Verfahren zum Betrieb der  AKWs erfunden hat  🙂   oder noch bisher unbekannte Lager vorhanden sind, wäre dies das Ende der Atomenergie.

Auch hier wieder eine falsche, d.h. verkürzte Wiedergabe, gemeint ist ein „vollständiges Verbot der Produktion von waffenfähigem Material“ …

Quelle: https://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jejvs9d60rpP432Q7zTT8mVcT4bw?docId=CNG.2e701d0c3c38a9b4632ba8b13d264869.701

siehe auch:
https://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/WELT/Auszenminister-dringen-in-Berlin-auf-atomare-Abruestung-artikel7647668.php
https://www.n24.de/news/newsitem_6856093.html

Richtig wird im Tagesspiegel wiedergegeben:
Zentrales Anliegen ist nach Angaben des Außenamts die Aufnahme von Verhandlungen für ein Produktionsverbot von kernwaffentauglichem Material wie Plutonium und hoch angereichertes Uran. Staaten, die Atomwaffen besitzen, sollen ihre Arsenale lückenlos offenlegen und auf Atomtests verzichten. Ein entsprechender Teststoppvertrag ist noch nicht umgesetzt. Die Atomenergiebehörde IAEO soll uneingeschränkt als Überwachungsinstanz anerkannt werden.
https://www.tagesspiegel.de/politik/zehn-staaten-fordern-in-berlin-atomare-abruestung/4118226.html

und bei europeonline-magazine:
Er stellte klar, dass sich die Teilnehmer aus fünf Kontinenten als Vorreiter für eine neue weltweite Abrüstungsdynamik verstehen. … Zu diesen zählte Westerwelle auch ein Produktionsverbot von Spaltmaterial wie angereichertes Uran oder Plutonium zum Bau von Kernwaffen. Dazu sei eine Wiederbelebung der Genfer Abrüstungskonferenz nötig. Gelinge dies nicht, müsse sich die UN-Generalversammlung damit befassen.
https://www.europeonline-magazine.eu/aussenminister-wollen-nukleare-abruestung-beschleunigen_126012.html

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Hintergründe

Seriosität der Deutschen Presse? Strahlungsbelastung für Schulkinder

Keine eigene Recherche, keine Fachleute, die nochmals prüfen und Korrekturlesen, blindes Vertrauen … Peinlich ist zu sehen, wie offenbar deutschlandweit von einander abgeschrieben oder ungeprüft von Agenturen Fehler übernommen werden. So melden etliche Zeitungen und Nachrichtenagenturen aktuell (Sa, 30.4.2011, 19:00 Uhr) Folgendes:

Aus Protest gegen seiner Ansicht nach zu hoch angesetzte Grenzwerte nach der Atomkatastrophe von Fukushima ist ein Berater der japanischen Regierung zurückgetreten. Er könne es nicht vertreten, dass die Regierung den seiner Einschätzung nach unangemessenen Grenzwerte von 20 Millisievert pro Stunde für Grundschulen in der Nähe von Fukushima festgesetzt habe, erklärte Toshiso Kosak.

https://www.welt.de/politik/ausland/article13309847/Japans-Atomberater-tritt-unter-Traenen-zurueck.html
https://m.ftd.de/artikel/60045746.xml?v=2.0
https://www.focus.de/panorama/welt/tsunami-in-japan/japan-atomberater-tritt-weinend-zurueck_aid_622785.html
https://www.nachrichten.de/panorama/Japan-Atomberater-tritt-weinend-zurueck-aid_5451979271135442520.html
https://www.sueddeutsche.de/karriere/japanischer-atomberater-tritt-zurueck-traenen-der-wut-1.1091388
https://www.taz.de/1/politik/asien/artikel/1/atomberater-tritt-zurueck/
https://www.handelsblatt.com/politik/international/japans-atomberater-schmeisst-das-handtuch/4117970.html
https://www.mainpost.de/ueberregional/politik/brennpunkte/33-Milliarden-Euro-fuer-Wiederaufbau-verabschiedet;art112,6121777
https://www.bild.de/news/ausland/fukushima/ruecktritt-atomberater-17661298.bild.html

Richtig gab dagegen der Spiegel an:

Das Kabinett habe seinen Rat zum Umgang mit der Krise von Fukushima ignoriert. Und weil niemand auf ihn höre, habe es „keinen Sinn, dass ich auf meinem Posten bleibe“, sagte Kosako. So sei der von der Regierung eingeführte Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr für die Strahlenbelastung von Schülern in der Nähe von Fukushima inakzeptabel. „Ich kann das als Wissenschaftler nicht zulassen“, sagte Kosako.

Zum Vergleich: Der Wert entspricht der Höchstdosis für einen deutschen Atomkraftwerksmitarbeiter.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,759906,00.html
sowie
https://nachrichten.t-online.de/atomkatastrophe-in-japan-atomberater-wirft-regierung-rechtsbruch-vor-/id_46102650/index

Ärgerlich ist, dass z.T. in den gleichen  Meldungen von der Belastung von Arbeitern mit 250 mSv pro Jahr die Rede ist …
https://www.mainpost.de/ueberregional/politik/brennpunkte/33-Milliarden-Euro-fuer-Wiederaufbau-verabschiedet;art112,6121777
und der Fehler trotzdem NICHT gemerkt wird. Eine Belastung von Kindern mit 20 Millisievert pro Stunde wurde unweigerlich nach ca. 100 Stunden = 2,5 Wochen Unterricht zum Strahlentod führen!!!

Um richtig verstanden zu werden, das macht das grundlegende Problem nicht besser: Auch die 20 Millisievert pro Jahr sind ein unglaublicher Skandal, gesundheitliche Belastungen und Spätschäden sind damit wahrscheinlich, von der psychischen Belastung völlig abgesehen. „Verstrahlte“ sind in Japan nach Hiroshima und Nagasaki über Jahrzehnte als Aussätzige der Gesellschaft geächtet und diskriminiert worden …

Ein ausgesprochen guter Beitrag zum Thema war in der Zeit zu finden:

(Danke an Ronald Maltha) Der Wissenschaftler Toshiso Kosako will Japans Regierung nicht mehr zur Atomkatastrophe beraten. Vor allem der Streit über Strahlen-Grenzwerte trieb ihn aus dem Amt. Der Wissenschaftler Toshiso Kosako verkündet seinen Rücktritt als Atomberater  Erst Mitte März war Toshiso Kosako zu einem Sonderberater des Kabinetts ernannt worden. Der Professor der University of Tokyo kündigte nun den Rücktritt von seinem Posten an. Er begründete die Entscheidung  damit, dass die Behörden und das Büro des Ministerpräsidenten in der Krise unzureichend handelten. Ministerpräsident  Naoto Kan begründete den Rücktritt Kosakos mit Meinungsverschiedenheiten unter Fachkollegen. „Wir begrüßen unterschiedliche Sichtweisen unter unseren Beratern“, sagte Kan. Differenzen hatte es vor allem um die Grenzwerte für die Strahlenbelastung für Kinder
gegeben.

Die Regierung halte sich nicht an geltende Gesetze, sagte Kosako unter Tränen bei einer Pressekonferenz, in der er seinen Rücktritt erläuterte. Für ihn sei der Eindruck entstanden, dass sie sich nur um eine Notlösung bemühe und mit Provisorien über die Zeit rette, anstatt eine wirkliche Lösung für die Atomkrise zu suchen. Die Regierung habe den seiner Einschätzung nach unangemessenen Grenzwert für Grundschulen in der Nähe von
Fukushima festgesetzt, sagte Kosako. Dies könne er als Wissenschaftlicher nicht zulassen. Zudem habe das Kabinett seine Vorschläge ignoriert. Und da niemand auf ihn höre, habe es „keinen Sinn, dass ich auf meinem Posten
bleibe“, sagte Kosako weiter. Die Regierung hatte vor wenigen Tagen einen Strahlengrenzwert für Grundschulen festgelegt, bei dem sich die Belastung auf 20 Millisievert im Jahr summiert.

Das Erziehungsministerium berief sich dabei auf Bestimmungen der International Commission on Radiological Protection, die bei einem Atomunfall eine jährliche Strahlendosis von bis zu 20 Millisievert sowohl für Erwachsene als auch für Kinder zulasse. Beobachter werteten die Entscheidung des Wissenschaftlers als einen Rückschlag für Japans Ministerpräsidenten. Einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo zufolge verliert er wegen der Atomkrise von Fukushima an Zustimmung. Drei von vier Japanern (76 Prozent) sagten, dem Regierungschef fehle es an Führungskraft. In der Kyodo- Telefonumfrage hatten Ende März noch 63,7 Prozent Kan mangelnde Führungskraft bescheinigt.  Weiter

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Hintergründe Störfälle

Update 28.04.2011, 24:00 (und zurückliegende Tage ….)

Vorbemerkung: In eigner Sache …

Die Ereignisse in Fukushima und die Folgen in der – auch deutschen – Politik haben die Welt verändert, soviel lässt sich heute schon feststellen. Diese Ereignisse veranlassten mich in der „heißen Phase“ Sie/Euch, wann immer Neues hereinkam, mit Infos zu versorgen. In den ersten Wochen war dies ein Halbtagsjob, der zeitweise nur unter Selbstaufgabe aller anderen Interessen geleistet werden konnte. Die vielen positiven Rückmeldungen haben mich bestätigt, dass es richtig und nötig war, dennoch diesen Aufwand zu betreiben. Nachdem es etwas ruhiger geworden ist und sich zumindest derzeit die Ereignisse in Japan nicht mehr überschlagen, war die Überlegung, dieses Instrument (Infomails über Verteiler und Aktualisierung auf meiner Homepage) wieder einzustellen oder moderat mit vertretbarem Arbeitsaufwand fortzuschreiben. Ich habe mich für letzteres entscheiden, wobei der Fokus logischerweise künftig nicht nur auf Fukushima, sondern auch „dem Rest der atomaren Welt“ liegen wird. Die Abfolge wird von den Ereignissen bestimmt werden und ist etwa im 7- bis 10-Tage-Bereich geplant. Alle LeserInnen sind herzlich eingeladen mir Interessantes (möglichst Links, aber auch Dateien) zu senden, die sie gern in diesen Veröffentlichungen sehen würden …

Wenig Neues aus Fukushima

Nach der Darstellung der GRS hat sich an der Situation in Fukushima nichts Wesentliches geändert: Über die Beschädigung der Brennstäbe in den Blöcken 1 bis 3 liegen jetzt „Schätzungen“ vom 27.4. vor (zwischen 30 und 55 %), wobei völlig unklar ist, wie diese Daten erhoben sein sollen. Alle Reaktorkühlsystem sind nach wie vor ausgefallen, die Brennstäbe sind „ganz oder teilweise freiliegend“ (bzgl. Wasserstand). Druck und Temperatur in den Reaktordruckbehältern 2 und 3 sind zwar unbekannt, aber (2) zumindest „stabil“ … (wie das geht, muss mir mal jemand von TEPCO erklären … ich kenne die Daten nicht, weiß aber, dass sie sich nicht ändern!). Trotz nicht funktionierender Kühlung und obwohl die Brennstäbe „ganz oder teilweise freiliegend sind“ wird weiter Wasser in den Reaktordruckbehälter eingespeist (das ist mind. genauso erklärungsbedürftig!), gemeint ist vermutlich eine Kühlung des Reaktordruckbehälters von außen. In den Hauptkontrollräumen 1 – 4 herrscht immer noch Stromausfall, die dort vermutlich zumindest teilweise horrenden Radioaktivitätswerte werden nicht weiter gemeldet.

Radioaktive Stoffe wurden in Grundwasserproben aus der Nähe des Turbinengebäudes am 30.3. nachgewiesen. Die Konzentration an radioaktiven Stoffen hat zugenommen und die Überwachung des Grundwassers soll erweitert werden. (16.4.)

Proben aus kleineren Fischen (Sandlanzen), die am 04.04. an der Küste von Ibaraki gefangen wurden, enthalten radioaktives Cäsium und Jod über dem Grenzwert (05.04.). Die Regierung verfügte eine Vertriebsaussetzung und gab eine Verzehrwarnung heraus (20.04.). Kleine Mengen Strontiums wurden in einigen Boden- und Pflanzenproben in 20-80km Entfernung von der Anlage gefunden.

(GP) Greenpeace meldet: In Block 1 sind 10 bis 49 Millisievert pro Stunde gemessen worden, in Block 3 waren es 28 bis 57 Millisievert pro Stunde. Damit ist die Strahlenbelastung fast 6000-mal höher als während des Normalbetriebs.

Evakuierung: 11.04., Die Evakuierungszone von 20 km um das KKW Fukushima Daiichi soll erweitert werden, so dass auch die Gebiete erfasst werden, in denen eine jährliche Strahlenexposition von über 20 mSv erwartet wird. Menschen, die in dieser erweiterten Zone leben, werden angewiesen, sie innerhalb eines Monats zu verlassen. Menschen, die in der 20 bis 30 km umfassenden Evakuierungszone, aber außerhalb der erweiterten Zone leben, sollen sich in den Häusern aufhalten bzw. sich zur Evakuierung bereit zu halten (angekündigt am 11.04., Erlass am 22.04).

 

Dazu passt: eine METI-Veröffentlichung mit Summierung der Orts-Dosis-Leistungen für die Präfektur Fukushima seit 20.03.2011:

(vorher keine Daten verfügbar) am 20.03.2011 gemeldet 8,35 µSv/h bis am 27.03.2011 gemeldet 3,54 µSv/h für die 8 Tage die abnehmenden Werte summiert ergibt 1.048 µSv / 8 Tage, die Jahresgrenzdosis, 1 mSv, in 8 Tagen!

Quelle: Ministry of Economy, Trade and Industry-Japan:

https://www.meti.go.jp/english/electricity_supply/index.html#nuclear

dort unter: Radioactivity level by prefecture, der Link wurde allerdings zwischenzeitlich entfernt.

(Danke an Detlev Brinkhoff für die Info)

 

(GP) Am Mittwoch, 27.4. wurde in der Stadt Koriyama, etwa 50 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt, damit begonnen, auf Spielplätzen von Schulen und Kindergärten den Boden abzutragen. Hierdurch sollen die Kinder bald wenigstens zeitweise wieder draußen spielen können. Teilweise waren hier im Boden Strahlenwerte von 3,8 Millisievert pro Stunde gemessen worden. (dpa)

 

(GP) Das Abpumpen radioaktiven Wassers hat laut Betreiberfirma Tepco äußerste Priorität. Am Wochenende hatte das Unternehmen angekündigt, weitere Zwischenlager bauen zu wollen. Bis Anfang Juni sollen Kapazitäten für 31.400 Tonnen des verstrahlten Wassers geschaffen werden. Die Wassermassen gefährden die Arbeiter, sodass es zu Verzögerungen bei den Reparaturen am Kühlsystem kommt. … Aktuell müssten etwa 70 000 Tonnen abgepumpt werden.

 

 

Not-Aus für US-AKW nach Tornado-Schäden

(Focus) Nach der Tornado-Serie im Süden der USA, der bislang 228 Menschenleben zum Opfer fielen, bleiben zahlreiche Verwüstungen und ein aus Sicherheitsgründen abgestelltes Atomkraftwerk zurück. Die Serie gilt nun als verheerendste Tornado-Katastrophe in den USA seit fast 40 Jahren.

Tuscaloosa – 228 Tote, Verwüstungen in sieben US-Bundesstaaten und ein Atomkraftwerk, das aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden musste – das ist die vorläufige Bilanz der verheerendsten Tornado-Katastrophe in den USA seit fast 40 Jahren. Mehr als 160 der zerstörerischen Wirbelstürme wüteten in den vergangenen Tagen im Süden der USA. Am schlimmsten traf es Alabama, wo die Rettungskräfte bis Donnerstag 131 Tote bargen.
Manch einer fühlte sich angesichts des riesigen Ausmaßes der Verwüstung an die Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan erinnert – vor allem als Meldungen die Runde machten, dass die drei Reaktoren des Atomkraftwerks Browns Ferry wegen der Stürme automatisch abgeschaltet wurden und Notfall-Dieselgeneratoren ansprangen, um die Kühlung der Brennstäbe zu übernehmen und eine Kernschmelze wie in Fukushima zu verhindern. Bei den Reaktoren handelt es sich um ähnliche Blöcke (Anm. der Red.: Siedewasserreaktoren!) wie die in dem japanischen AKW, das durch die Naturkatastrophe am 11. März so schwer beschädigt wurde, dass Strahlung austrat.

Browns Ferry zählt zu den größten Atomkraftwerken des Landes. Es versorgt 2,6 Millionen Haushalte mit Strom. Es wird Tage, wenn nicht gar Wochen dauern, bevor es wieder ans Netz gehen kann. Zuerst müsse die Verlässlichkeit der Hochspannungsleitungen wieder hergestellt sein, sagte ein Sprecher des Betreibers. Über die Leitungen wird das Kraftwerk selbst mit Strom versorgt, diese brachen jedoch in Folge des Sturms zusammen. Das AKW selbst sei aber unbeschädigt, sagte der Sprecher.

 

AKW ohne externe Stromversorgung

(tagesanzeiger) In der Nähe der Stadt Huntsville schnitt der Sturm das Atomkraftwerk Browns Ferry von der externen Stromversorgung ab. Das Sicherheitssystem mit sieben Dieselgeneratoren habe plangemäß funktioniert und der Vorfall sei auf dem niedrigsten Gefahrenniveau eingestuft worden, teilte die US-Atomsicherheitsbehörde mit.

 

 

GRS reagiert auf Kritik

Etwas älteren Datums, aber erst jetzt in der Bearbeitung gelandet ist der Hinweis von Detlev Brinkhoff, Frankfurt:

„Kritik zeigt geringe Wirkung?“ Die GRS veröffentlicht am 28.03.2011 in ihrer Grafik über Fukushima plötzlich Messwerte über fünf zurückliegende Tagen, die in der Spitze bis ~4.000-fach, im Mittel ~ 1.000-fach höher liegen, als die bisher veröffentlichten Messwerte: Unterschied, Messpunkt vor zu Messpunkt hinter dem Hauptgebäude, bisher schirmte das Gebäude das Messgerät gegen die direkte Sicht (Wirkung) zu den Reaktoren 1 – 4 ab! Denkwürdig in mehrfacher Hinsicht!

Am 27.3.2011 zeigte die GRS-Grafik zu den Radioaktivitätsmessung nur einen Messpunkt „AM“ Hauptgebäude, am 28.3.2011 kam ein zweiter Messpunkt hinzu …

 

 

Schwachstellen-Analyse verschiedener deutscher AKW im Vergleich zum AKW Fukushima

Mindestens vier deutsche AKW verfügen über weniger Sicherheitsreserven als die japanischen Katastrophenreaktoren

Deutsche Atomkraftwerke verfügen im Vergleich mit den havarierten Siedewasserreaktoren im japanischen Fukushima ebenso über Sicherheitsdefizite, die zu einem GAU führen können. (weiterlesen)

 

 

Greenpeace darf an Japans Küste keine Tests durchführen

(Tagesanzeiger) Die Umweltorganisation pocht nach dem AKW-Unglück in Fukushima auf unabhängige Messungen. Doch das Schiff Rainbow Warrior hat keine Erlaubnis für die japanischen Hoheitsgewässern erhalten.

Japan hat nach Angaben von Greenpeace der Umweltorganisation die Erlaubnis für Strahlungstests vor der Küste verweigert. Das Schiff «Rainbow Warrior» sei in Tokio eingetroffen, doch habe es keine Erlaubnis erhalten, in den japanischen Hoheitsgewässern Untersuchungen vorzunehmen.

Dabei seien unabhängige Tests des Seewassers und der Meerestiere in den durch die Strahlung aus dem schwer beschädigten Atomkraftwerk Fukushima I bedrohten Gebieten extrem wichtig, sagte der Direktor von Greenpeace Japan, Junichi Sato.

«Es geht darum, unabhängige und transparente Informationen zu liefern, die den Menschen helfen, ihre Gesundheit und ihren Lebensunterhalt zu schützen», sagte Sato. Seit dem schweren Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März nimmt Greenpeace regelmäßig Tests außerhalb der 30-Kilometer-Zone um das schwer beschädigte Atomkraftwerk Fukushima vor, die infolge des Unglücks evakuiert wurde.

«Wir müssen unsere Recherchen ausdehnen auf das Meer, von dem Japan für seine Nahrungsversorgung stark abhängt», sagte Iko Teuling, ein Strahlungsexperte an Bord der «Rainbow Warrior».

 

 

Atomkraft weltweit auf absteigendem Ast

(DNR, Bericht Worldwatch Institut, Europäische Grüne, 21. April 2011) Eine anlässlich des 25. Jahrestags der Atomkatastrophe von Tschernobyl im Europäischen Parlament präsentierte Bericht zum Stand der weltweiten Atomenergie kommt zu dem Schluss, dass der Anteil von Atomkraft an der Elektrizitätsproduktion weltweit abnimmt und künftig weiter abnehmen wird. So war 2010 erstmals die weltweite Leistung erneuerbarer Energien größer als die der aktiven AKW (381 Gigawatt gegenüber 375 Gigawatt vor Fukushima). In der EU sind aktuell 143 Reaktoren offiziell aktiv – inklusive der sieben vorübergehend abgeschalteten Kraftwerke in Deutschland. Das sind 33 weniger als 1989. Damit der heutige Anteil von Atomstrom künftig aufrecht erhalten wird, müssten neben den sich aktuell im Bau befindlichen AKW bis 2015 18 zusätzliche Reaktoren fertiggestellt werden und ans Netz gehen. Das halten die Autoren vom Worldwatch Institut wegen des langen Vorlaufs, den der Bau eines AKW benötigt, für unwahrscheinlich. Die Ereignisse in Fukushima würden zudem vermutlich dazu führen, dass Laufzeitverlängerungen für alte AKW künftig seltener beschlossen werden.

Neben der allgemeinen Bestandsaufnahme zur weltweiten Atomkraft gibt der Bericht einen Überblick über die bisherigen politischen Konsequenzen aus Fukushima in einigen Ländern und Regionen, darunter die EU und Deutschland. Die Grüne Fraktion im Europaparlament, die die Erstellung des Berichts unterstützt hat, forderte als Konsequenz aus den Ergebnissen einen EU-weiten Atomausstieg und die Erarbeitung einer sicheren und nachhaltigen Energieversorgungsstrategie für Europa.

 

Quellen:

https://www.focus.de/panorama/vermischtes/usa-228-tote-nach-tornado-katastrophe_aid_622348.html

https://www.tagesanzeiger.ch/mobile/panorama/vermischtes/Alabama-schaltet-wegen-Tornado-AKW-ab/s/27647939/index.html

https://fukushima.grs.de/sites/default/files/Status_KKW_Fukushima_Daiichi_28_04_2011_0500.pdf

https://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/atomkraft/Schwachstellenanalyse-dt-AKW-Fukushima.pdf

https://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/atomarer_notstand_in_japan_teil_4/

https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/die-tsunami-katastrophe/Greenpeace-darf-an-Japans-Kueste-keine-Tests-durchfuehren/story/16509233?dossier_id=885

https://www.eu-koordination.de/umweltnews/news/klima-energie/830-atomkraft-weltweit-auf-absteigendem-ast

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Hintergründe Störfälle

Atomunfälle, weltweit

Auszug aus der Chronik der weltweiten Anti Atom Bewegung von Dieter Kaufmann, Mitglied im Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main. Stand 21.04.2011
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12.12.1952 Kanada/Provinz Ontario/Chalk River: Die erste größere Reaktorkatastrophe der Welt. Rund 4,5 Millionen Liter Wasser, die etwa 10.000 Curie an radioaktiven Spaltprodukten enthalten, treten aus. In einem AKW im kanadischen Chalk River bei Ottawa kommt es zu einer schweren Explosion. Durch Fehleinschätzungen und falsche Messdaten kommt es zur teilweisen Kernschmelze in den Chalk River Laboratories. Eine Knallgasexplosion hebt eine vier Tonnen schwere Kuppel über den Reaktor hoch, große Mengen an Spaltprodukten gelangen in die Atmosphäre. Verseuchtes Wasser aus dem Reaktorsumpf wird später in eine Sickergrube gepumpt, es droht kurzfristig die Kontaminierung des nicht weit gelegenen Flusses Ottawa. Der Reaktorkern wird vergraben. (Der Montag, der die Welt veränderte von Claus Biegert 1996, Netzeitung, 09.08.2006. Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011, Seite 4)

29.09.1957 UdSSR/Ural/Majak/Kyschtym/Tscheljabinsk: Eine von vielen geheimen Städten, die für das Atomwaffenprogramm arbeiten. Schwerer Atomunfall in der Plutoniumfabrik; ein Behälter mit 80 Tonnen hochradioaktiven Abfällen -flüssige Rückstände der Plutoniumbombenproduktion – explodiert, auf einer Fläche von 23.000 Quadratkilometern auf der rund 272.000 Menschen leben, ging vorwiegend Strontium 90 nieder im Ausmaße des Supergaus in Tschernobyl von 1986. So begannen durch die radioaktive Hitze die flüssigen Abfälle zu trocknen und es sammelten sich Acetate sowie hochexplosive Nitratsalze – ähnlich denjenigen, die auch in Sprengstoffen verwendet werden – an der inneren Wandung des Tanks. Vermutlich durch einen Funken, den ein Kontrollgerät im Tank erzeugte, wurden dann im September 1957 die Salze zur Explosion gebracht. Die Detonation war so gewaltig, dass Trümmerstücke noch in über zwei Kilometer Entfernung gefunden wurden. Experten vergleichen sie mit der Kraft von 70 bis 100 Tonnen TNT. Dabei wurden große Mengen an radioaktivem Material, zumeist Strontium-90 und Caesium-137 – ganz ähnlich wie in Tschernobyl – in die Umwelt freigesetzt. Eintausend Menschen sterben. 120 Quadratkilometer sind bis heute gesperrt, die Umgebung ist mit 3.700 Becquerel pro Quadratmeter belastet. Der bis heute zweitgrößte Atomunfall wurde bis zum Ende der Sowjetunion geheim gehalten. (Der Tschernobyl Schock, 1996, FR 24.06.1997 und 01.10.1999, Wissenschaft und Technik vom 26.02.2006. Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011, Seite 4)

10.10.1957 England/Windscale: Ein schwerer Brand im luftgekühlten Gas-Graphitblock- Reaktor Pile No. 1 entsteht zuerst unbemerkt vom Leitstand. Der Versuch den Kern mit Luft herunterzukühlen beschleunigt den Brand noch. Radioaktivität gelangt ungehindert durch die Abluftkamine nach außen. Als letzter Versuch wird der Atomreaktor mit Wasser geflutet. Der beim Löschen entstehendem Dampf setzten weitere Mengen an Radioaktivität frei. (Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011, Seite 4) Der Brand konnte erst nach drei Tagen gelöscht werden. Es ziehen radioaktive Wolken über Europa. 500 Quadratkilometer wurden vor Ort verseucht. Dieser Unfall wurde 30 Jahre von den demokratischen Regierungen in London geheimgehalten. Die Öffentlichkeit erfuhr erst Ende 1987 von dem gesamten Ausmaß der atomaren Katastrophe. Nach offiziellen Angaben gab 35 Tote und mehr als 200 Fälle von Schilddrüsenkrebs. Es kann aber davon ausgegangen werden, das die tatsächlichen Zahlen weitaus höher liegen. Die Verseuchung durch die Radioaktivität in Europa war größer als der Unfall von Tschernobyl. Später wurde Windscale in den heutigen Namen Sellafield geändert. Bis zu 1000 Tote soll es bei dem Atomunfall gegeben haben. (Der Montag, der die Welt veränderte von Claus Biegert 1996 und FR, Ende 1987, Merkur online, 15.06.2007)

26.06.1959 USA/Kalifornien: Im Santa Susana Field Laboratory kommt es in einem Schnellen Brüter zu einer teilweisen Kernschmelze. Grund: verstopfte Kühlleitungen. Obwohl die Spaltprodukte weitgehend abgefiltert werden können, gelangen radioaktive Gase in die Umwelt. Der atomare Unfall wird von den US-Behörden lange geheim gehalten. (Das Parlament, Nr. 12, 21.03.12011, Seite 4)

22.01.1969 Schweiz/Lucens: Beim Versagen des Kühlsystems eines unterirdischen Versuchsreaktors in Lucens kommt es zu einer partiellen Kernschmelze. Das Kühlmittel Kohlendioxid und das als Moderator eingesetzte schwere Wasser treten aus, größere Menge Strahlung gelangen in die Felskaverne. Die stark kontaminierten Trümmer können erst Jahre später aus dem Stollen geräumt werden. (Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011, Seite  4)

28.03.1979 USA/Harrisburg: Schwerer Unfall im AKW „Three Mile Island“, der Reaktor ist außer Kontrolle geraten und für mehrere Wochen droht sowohl ein Schmelzen der Brennstäbe als auch eine Explosion des Atomkraftwerkes. Die Folgen sind bis heute nicht abzusehen. Rund 140.000 Menschen flüchteten damals aus der Region um Harrisburg. Es kommt zum Ausfall der Atomreaktorkühlung und zu einer teilweisen Schmelze des Atomkerns. Der Leitstand ist nicht zu jedem Zeitpunkt über die Vorgänge im Atomreaktor und Kühlsystemen im Bilde, Messsonden und Ventile versagen. Radioaktiver Dampf tritt aus, zum Teil gelangt kontaminiertes Gas nach dem Unfall durch kontrolliertes ablassen in die Atmosphäre. (Anti AKW Kalender 1981. Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011)

26.04.1986 UdSSR/Tschernobyl: Um 0.23 Uhr Ortszeit explodiert der vierte Reaktorblock des Atomkraftwerkes von Tschernobyl. (umweltschwung osteuropa 1997)

28.04.1986 UdSSR/Tschernobyl: Es kommen die ersten Nachrichten über den Ticker, dass in Skandinavien hohe radioaktive Strahlungen gemessen wurden. Die nicht aus dem örtlichen AKW stammen konnten. Die TASS gab um 19 Uhr Ortszeit Moskau bekannt gegeben, dass sich im AKW Tschernobyl (Reaktortyp RBMK-Reaktor Bolschoi Moschtnasti Kipjaschtschij) ein Unglück am 26.4.1986 ereignet hat. Supergau in Tschernobyl? Wo liegt der AKW Standort? Nie gehört! Durch das Zusammenspiel von Konstruktionsmängeln und Fehleinschätzungen im Kontrollraum bei einem Experiment kommt es zur Kernschmelze. Der 1.000 Tonnen schwere Reaktordeckel wird in die Luft geschleudert. Das radioaktive Material wird sehr hoch in Atmosphäre transportiert, verteilt sich über ganz Europa und wird durch den Regen in den Boden eingetragen. Es kommt zum bisher größte Supergau in der Geschichte der Menschheit, der nie zu Ende sein wird. Auch nach 25 Jahren ist Tschernobyl gefährlich. (Eigener Bericht. Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011)

11.03.2011 Japan/Ostküste/Fukushima: Ein schweres Erdbeben löst einen Tsunami aus. Alle Atomanlagen an der Ostküste sind betroffen und schalten sich ab. Wie viele Menschen umkamen ist zunächst unklar. Massive Schäden an der Infrastruktur. Es begann im japanischen AKW Fukushima eine Reaktorkatastrophe dramatischen Ausmaßes. Hunderttausende reagierten in den folgenden Tagen und Wochen mit Entsetzen und Trauer – und mit der entschlossenen Forderung nach der endgültigen Stilllegung der AKW in Deutschland und anderswo. (ausgestrahlt) Es kam zu einer Serie von Unfällen am AKW Standort Fukushima mit sechs AKW Blöcken. Explosionen beschädigen die Reaktorgebäude. Im Reaktorgebäude brechen Brände aus. Die japanische Regierung ruft den nuklearen Notstand aus und evakuiert die Bevölkerung im Umkreis von 30 Kilometer. Die Kettenreaktion wird versucht aufzuhalten. Der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen. Die japanische Regierung stufte den Vorgang später auf 7 hoch, wie in Tschernobyl auch. Der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen. Die japanische Regierung hofft es Ende 2011 in den Griff zu bekommen. (Das Parlament, Nr. 12, 21.03.2011, Seite 4. Eigener Bericht)

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Hintergründe Störfälle Unterschriftskampagnen gegen Atomenergie

jap. Petition gegen Grenzwerterhöhung für Kinder

Petition

Stichtag für die Petition ist Samstag, 30. April, und zwar 16 Uhr MESZ! Am Montag, 2. Mai, treffen sich in Japan VertreterInnen der Zivilgesellschaft mit der Regierung und übergeben die gesammelten Unterschriften. Die Petition kann online unterzeichnet werden.

Petition (hier die englische Version)

[Dringliche Erklärung und Forderungen]
Wir fordern dringlich die Rücknahme der unmenschlichen Entscheidung der japanischen Regierung, Kinder einer Strahlenbelastung von bis zu 20 mSv/a auszusetzen.
Am 19. April 2011 teilte das Ministerium für Erziehung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technology (MEXT) dem Bildungsausschuss und weiteren Institutionen der Präfektur Fukushima mit, dass die Strahlenschutznorm
für Schulen in der Präfektur Fukushima auf 20 Millisievert pro Jahr (mSv/a) festgesetzt wurde. Dieser Grenzwert ist für Schulgelände und -gebäude gültig. Die Regierung wies darauf hin, dass 20 mSv/a einer Strahlenbelastung von 3,8 Mikrosievert pro Stunde (3,8 µSv/h) im Freien entspricht.
3,8 µSv entspricht in etwa dem sechsfachen Wert für „Strahlenüberwachte Gebiete“, der bei 0,6 µSv/h oder mehr liegt. Das Arbeitssicherheitsgesetz verbietet unter 18-Jährigen, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Kinder solchen Strahlendosen auszusetzen ist eine höchst unmenschliche Entscheidung, die wir mit Nachdruck verurteilen. 20 mSv/a ist vergleichbar mit der [juristisch] anerkannten Dosis, ab der Beschäftigte in Atomkraftwerken Leukämie entwickeln. Der Wert entspricht auch der maximalen Dosis, die in Deutschland für Mitarbeiter von Atomkraftwerken als Grenzwert festgelegt ist. Der Grenzwert von 20 mSv/a berücksichtigt weder, dass Kinder strahlensensibler sind als Erwachsene, noch die Belastung durch inkorporierte Strahlung.
Bei Strahlenmessungen, die an Grund- und Mittelschulen in der Präfektur Fukushima durchgeführt wurden, weisen momentan mehr als 75% der Schulen Strahlenwerte von „Strahlenüberwachten Gebieten“ auf (0,6 µSv/h oder mehr). Außerdem fallen etwa 20% der Schulen in die Kategorie „Gebiete mit Strahlenüberwachten Personen“ (2,3 µSv/h oder mehr) und befinden sich in einer äußerst gefährlichen Situation.
Der Wert, den die japanische Regierung jetzt festgelegt hat, zwingt den Kindern diese äußerst gefährliche Situation auf und kann Maßnahmen zur Verringerung der Strahlenbelastung behindern, die die Schulen auf eigene
Initiative ergreifen.
MEXT teilt mit, dass 20 mSv/a der Empfehlung der Internationalen Strahlenschutzkommission (International Commission on Radiological Protection, ICRP) in deren Publikation 109 [„Application of the Commission’s Recommendations for the Protection of People in Emergency Exposure Situations“] entsprechen sowie den Referenzwerten [Störfallplanwerten] im Bereich von 1 bis 20 mSv/a, die die ICRP in ihrer Mitteilung vom 21. März 2011 [„Fukushima Nuclear Power Plant Accident“] empfiehlt. Das bedeutet, dass MEXT sich am obersten Grenzwert orientiert hat.
Bis zum 21. April hat die japanische Regierung keine relevanten Informationen freigegeben, wie es zur Entscheidung über diese Grenzwerte kam. Überdies hat die Regierung auch nicht erklärt, warum weder die höhere Strahlensensibilität von Kindern noch inkorporierte Strahlung berücksichtigt wurden. Der Verlauf der Besprechung zwischen MEXT und der Nuklearen Sicherheitskommission (Nuclear Safety Commission, NSC) wurden
nicht offen gelegt und die Lage bleibt reichlich undurchsichtig.
Wir fordern von der japanischen Regierung folgendes:
– Rücknahme der Norm „20 mSv/a“ für Kinder.
– Offenlegung der Namen der Experten, die 20 mSv/a für Kinder für sicher
halten.

Anmerkung:
Bei der Verhandlung, die die Regierung am 21. April hielt, wurde offensichtlich, dass die Nukleare Sicherheitskommission (NSC) den Grenzwert von 20 mSv/a für Kinder ohne vorherige formale Konsultation
als „zulässig“ einstufte. Außerdem teilte die Kommission am 22. April dem Büro der japanischen Parlamentsabgeordneten Mizuho Fukushima mit, dass für die Beratungen der fünf Mitglieder der Nuklearen Sicherheitskommission, die in der Norm „20 mSv/a“ mündeten, kein Protokoll erstellt wurde.

Literaturhinweis:
SPIEGEL vom 21.4.2011, „Japan legt hohe Strahlengrenzwerte für Kinder
fest“ (https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,758410,00.html),
dort Zitate von Experten und Vergleich mit Grenzwerten für deutsche
AKW-Mitarbeiter.
Edmund Lengfelder vom Otto Hug Strahleninstitut: „Man nimmt damit ganz
bewusst zusätzliche Krebsfälle in Kauf. Durch den Grenzwert ist die
Regierung juristisch aus dem Schneider – moralisch aber nicht.“

Diese Petition wird organisiert von:
Green Action, Greenpeace Japan, Citizens‘ Nuclear Information Center, Citizens Against Fukushima Aging Nuclear Power Plants (Fukuro-no-Kai), Osaka Citizens Against the Mihama, Oi, and Takahama Nuclear Power Plants
(Mihama-no-Kai), Friends of the Earth Japan
Weitere Informationen bei:
Green Action
Suite 103, 22-75 Tanaka Sekiden-cho
Sakyo-ku, Kyoto 606-8203 Japan
Tel: +81-75-701-7223
info@greenaction-japan.org

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Demonstration Hintergründe

Töten für Frankreichs Nuklearindustrie

Am 18.4.2011 starb Tavrez Sejkar, Atomgegner, in Jaitapur (Indien). Wie gewöhnlich ist den deutschen Medien ein solcher Vorfall allenfalls eine Kurzmeldung wert, wobei natürlich nichts weiter an Informationen verbreitet wird, als die Stellungnahme, wie sie dem Polizeibericht zu entnehmen ist. Angeblich hätte am Rande einer Demonstration ein gewaltbereiter und teilweise bewaffneter „Mob“ ein unterbesetztes Polizeirevier gestürmt, um es zu plündern und in Brand zu stecken. Selbstredend hat der getötete Atomgegner in diesen Meldungen keinen Namen. Beim Versuch den „Mob“ zu zerstreuen, sei nach dem vergeblichen Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas in Notwehr scharf geschossen worden, so in etwa gleichlautend die Informationen im Morgenmagazin (ARD/ZDF) aber auch diversen deutschen Printmedien.

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Hintergründe Störfälle

Nach Fukushima – 10 Kriterien für ein Ausstiegsszenario

Gastbeitrag von Dipl. Phys. Detlef zum Winkel und Thomas Kieseritzki, Rechtsanwalt, 10.4.2011

Angesichts der Katastrophe in Japan wird von einer Zäsur gesprochen, nach welcher der Betrieb von Atomanlagen nicht mehr so weiter gehen könne wie bisher. Der Sicherheitscheck, den die Bundesregierung durchführen lassen will und der auch auf europäischer Ebene, ebenso wie in den USA, angekündigt wurde, findet allerdings ohne die Kritiker der Atomenergie statt. So teilte EU-Kommissar Öttinger der Presse mit, er habe mit 120 Personen getagt, aus Unternehmen der Energieversorgung und des Kraftwerksbaus, und Einigkeit über eine Überprüfung erzielt. Diejenigen, die prüfen, und diejenigen, die geprüft werden sollen, sind also wieder einmal die Gleichen. Die Anderen allerdings, die den atomindustriellen Komplex bekämpfen, können ihre Unabhängigkeit geltend machen. Ihr Urteil und ihre Vorschläge sind umso wichtiger. Diese folgenden Thesen versuchen eine Vorlage zu machen, die der Verständigung unter denen dienen soll, die mit Ausstieg wirklich meinen, was der Begriff besagt.

Aus dem ersten Multi-GAU der Geschichte der Atomenergie werden 10 Schlussfolgerungen gezogen. Sie sind, mit Bedacht, so konkret gehalten wie möglich, weil die Lehren aus dem Unglück äußerst direkt sind. Wir wollen auch versuchen, europäischer als bisher zu denken. Obgleich der Bezug auf Europa meist mit leicht durchschaubarer Absicht eingebracht wird, ist es natürlich legitim zu fragen, was beispielsweise ein deutscher Atomausstieg bringt, wenn in Frankreich weiter 58 Atomreaktoren betrieben werden und in Tschechien Altmeiler, die vielleicht gerade noch einen Nutzen als Filmkulissen haben. Es sollen also Kriterien gefunden werden, die auch in Frankreich und anderswo mehrheitsfähig werden können und den Grundstein für ein Bündnis mit den französischen Atomkraftgegnern legen, die in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erfahren haben.

Welche Faktoren und Umstände haben zu dem japanischen Atomdisaster in besonderer Weise beigetragen, was hat sich für die Bevölkerung als besonders verhängnisvoll erwiesen? Auch für nicht naturwissenschaftlich ausgebildete Menschen ist einsichtig, dass es um den Ort, den Typ, die Anzahl der Reaktoren, um Kühltürme, die Gebäudekonstruktion, das Alter der Anlagen, um den verwendeten Brennstoff, um dessen Zwischenlagerung, den Betrieb und um die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit geht.

Im Einzelnen:

1. Ort. Atomanlagen dürfen nicht in Gegenden betrieben werden, die von schweren Naturerschütterungen, Erdbeben, Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen oder Stürmen bedroht sind. Hier sind geologische Gutachten erforderlich, aber auch ohne diese ist klar, dass Portugal, Mittelitalien, der Balkan, Griechenland und weite Teile der Türkei (die hier genannt werden muss, auch wenn sie nicht zur EU gehört) als Standorte ausscheiden. Ebenso Sizilien und Island wegen der Gefahr von Vulkanausbrüchen. Wichtig ist zu begreifen, dass es hierbei nicht nur um AKWs geht, sondern um Atomanlagen aller Art, also auch um Lagerstätten für Atommüll. Salzbergwerke mit der erwiesenen Gefahr, dass sie mit Wasser zulaufen, scheiden als Deponien aus. Dies meint die endgültige Verabschiedung von den Plänen für Gorleben oder besser gesagt: gegen Gorleben.

2. Typ. Fukushima markiert das Ende einer Reaktorlinie. Der Siedewasserreaktor bietet nicht jene inhärente Sicherheit, die man von Atomkraftwerken verlangen muss, die auch von ihren Betreibern oftmals versprochen worden ist, die sich aber jetzt als Schimäre erwiesen hat. Sein einfach ausgelegtes Kühlsystem gibt im Schadensfall enorme Strahlenmengen an die Umwelt ab. Die Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente liegen außerhalb eines Containements. Die Möglichkeiten einer Schadensbegrenzung im Falle eines GAU sind gering. Ebenso wie nach Tschernobyl graphitmoderierte Reaktoren (die es nicht nur in der Sowjetunion gegeben hat) weitestgehend außer Betrieb genommen worden sind, so sind jetzt alle Siedewasserreaktoren stillzulegen. Das sind in Deutschland 6 Reaktoren: Brunsbüttel, Krümmel, Isar 1, Philippsburg 1, Gundremmingen B und C. Frankreich hat keine Siedewasserreaktoren.

3. Anzahl der Reaktoren. Vier oder wie im Fall von Fukushima sogar sechs Reaktoren in einem AKW können im Notfall nicht mehr beherrscht werden. Für solche Anlagen gibt es in der Praxis kein Krisenmanagement. Fehler der Betreiber sind vorprogrammiert, und sie sind natürlich auch gemacht worden. Ein GAU in einem Reaktor ist wahrlich schlimm genug. Ein weiterer Multi-GAU muss ausgeschlossen werden. Das bedeutet, dass nicht mehr als zwei Reaktoren pro Kraftwerk vorhanden sein dürfen. Zwei Reaktoren darf es nur noch dann geben, wenn sie baugleich sind. In Frankreich laufen mehrere AKWs mit 4 bis 6 Reaktoren. Ca. 20 französische Reaktoren müssen nach diesem Kriterium stillgelegt werden.

4. Kühltürme. In Fukushima ist eine bauliche Besonderheit auf den Bildern von der Anlage leicht zu erkennen, aber in den Berichten und Reportagen wird sie nicht erwähnt. Dort fehlen Kühltürme. Interessanterweise ist dies häufig an küstennahen Standorten der Fall. Wäre das AKW mit Kühltürmen ausgestattet gewesen, so hätte nicht – zwei Wochen zu spät – Süßwasser per Schiff aus den USA herangeschafft werden müssen. Die Chance, eine Kernschmelze im Ansatz zu verhindern, wäre höher gewesen. Bei AKWs mit Druckwasserreaktoren müssen mehrere Kühltürme vorhanden sein, die immer ein großes Wasserreservoir enthalten müssen. Mit ihrer Hilfe ist ein zusätzliches, rein mechanisches Notkühlsystem zu implementieren, das den Reaktorkern auch beim kompletten Ausfall jeglicher Stromversorgung noch tagelang kühlen kann. Diese Anforderung wird nicht erfüllt von den Druckwasserreaktoren Brokdorf (kein Kühlturm) sowie Neckarwestheim 1 und 2 (zu kleine Kühltürme).

5. Gebäude. Auch an das sog. äußere Containement, also an die Konstruktion des Reaktorgebäudes, sind definierte Mindestanforderungen zu stellen. Hier geht es nicht nur darum, gegen äußere Gewalteinwirkungen Vorsorge zu treffen, z.B. gegen einen Flugzeugabsturz. Es geht auch darum, dass das Reaktorgebäude mit entsprechenden Wandstärken und einem Kuppeldach versehen ist, damit es im Falle eines GAU seine Rückhaltefunktion erfüllt und als weitere Barriere gegen die Freisetzung von Radioaktivität dient. Anders als in Fukushima muss das Reaktorgebäude Knallgasexplosionen standhalten. Gleich hohe Maßstäbe sind an die Unterbringung der verbrauchten Brennelemente anzulegen.

6. Alter. Atomkraftwerke kann man mit noch so vielen Nachrüstungen nicht beliebig lang betreiben. Nicht nur wegen der Schlampereien von Tepco, sondern auch wegen des schlichten Alters der Anlage, der Gebäude, der Containements, der Rohre und Ventile, der Baustoffe, der Steuerungen, der Konstruktion, der Sicherheitssysteme musste das Werk dem Erdbeben und dem Tsunami zum Opfer fallen. Der Reaktor 1 in Fukushima ist 40 Jahre alt. Die Reaktoren 2, 3 und 4 sind nur 3 Jahre jünger. Das ist zuviel. Atomreaktoren wurden ursprünglich für eine Lebensdauer von ca. 25 Jahren konzipiert. Es zeigt sich jetzt, welches Gefahrenpotential die Altreaktoren und Auslaufmodelle bergen. Statt einer Verlängerung ist eine Laufzeitverkürzung geboten. Daher müssen außer den schon genannten AKWs in Deutschland die Atomkraftwerke Unterweser und Biblis (A und B) stillgelegt werden.

7. Brennstoff. Als grausamer Fehler erweist sich, dass in Reaktor 3 von Fukushima MOX-Elemente eingesetzt wurden, die neben Uran auch Plutonium als Spaltstoff enthalten. Dies ist in den meisten deutschen AKWs ebenso der Fall und muss sofort unterbunden werden. Man möge auch einen Moment innehalten und überlegen, was passiert wäre, wenn in Fukushima Hochtemperaturreaktoren oder Schnelle Brüter gestanden hätten. Dann erkennt man, warum es für Brutreaktoren und für die Plutoniumwirtschaft keine Kompromisse und keinen Verhandlungsspielraum geben darf. Es kann auch nicht mehr geduldet werden, dass die Nuklearunternehmen versuchen, diese hochriskanten Technologien ins Ausland zu exportieren.

8. Zwischenlager. Die Anwesenheit verbrauchter Brennelemente in sog. Abklingbecken hat die Situation in Fukushima verschlimmert und die Folgen vervielfacht. Sie enthalten ein höheres Strahlenpotenzial, als es in den Reaktorkernen vorhanden ist. Auch der Reaktor 4 des AKW Fukushima, der zum Zeitpunkt des Erdbebens gar nicht aktiv war, geriet zum gefährlichen Krisenherd. Abklingbecken müssen außerhalb der Reaktoren in eigenen Gebäuden untergebracht werden, an welche nicht die gleichen, aber gleich hohe Sicherheitsanforderungen zu richten sind. Ähnliche Aufmerksamkeit und Anforderungen müssen den Zwischenlagern von Castor-Behältern an den Atomkraftwerken gelten; letztere könnten allerdings in den Gebäuden von stillgelegten Reaktoren untergebracht werden. Das meint, dass wir die Stillegung alter Reaktoren auch deswegen brauchen, um das Problem der Zwischenlagerung anders zu lösen – und zwar unverzüglich. Es meint auch, dass die Arbeitsplätze in stillgelegten Reaktoren ziemlich sicher sind, wobei zu bezweifeln ist, ob dies wirklich ein Vorteil für die Beschäftigten ist.

9. Betrieb. Nach dem 11. März wurden schier unglaubliche Versäumnisse und Fehler des Betreibers Tokyo Electric Power Company bekannt. Es ist evident, dass dieses Unternehmen den gesetzlichen Anforderungen, welche an die Betreiber von Atomanlagen gestellt werden, sei es in Japan oder in Europa, nicht genügt. Nur noch Befürchtungen, das Krisenmanagement und die Katastrophenschutzmaßnahmen noch weiter zu erschweren, halten die japanische Regierung von der sofortigen Verstaatlichung Tepcos ab.

Die deutsche Erfahrung besagt, dass grundsätzlich alles, was jetzt über Tepco berichtet wird, bereits von Vattenfall bekannt ist. Das trifft ebenso auf die anderen Betreiber von Atomkraftwerken zu, auch in Frankreich. Wartungen werden mangelhaft durchgeführt; Zertifikate sind nicht zuverlässig, Auskünfte immer verharmlosend und immer unvollständig; Qualitätssicherung wird vernachlässigt, durch Outsourcing finden wichtige Arbeiten nur noch auf dem Papier statt. Subunternehmen, Leiharbeiter und unqualifizierte Hilfskräfte erledigen die gefährlichsten Arbeiten. Diese Anlagen werden nicht nach Maßstäben besonderer Sicherheit und Zuverlässigkeit betrieben, sondern nach den Regeln des Profits.

Es ist an der Zeit, Energieversorgung wieder als öffentliche Aufgabe zu erkennen. Die Energieversorger sind der Gesellschaft gegenüber in die Pflicht zu nehmen, nicht ihren Aktionären gegenüber. Die Besitz- und damit die Machtfrage muss gegen den Atomstaat und für das Gemeinwohl entschieden werden. Ungewollt hat die alte Landesregierung von Baden-Württemberg kurz vor ihrer Abwahl etwas Richtiges getan, indem sie einen der vier großen Energiekonzerne, EnBW, zurückgekauft hat, d.h. dass sie eine Anteilsmehrheit erworben hat. Ähnlich ist mit E.on und RWE zu verfahren. Vattenfall ist die Genehmigung zum Betrieb von Nuklearanlagen zu entziehen.

10. Rechtsstaatlichkeit. Ein einziger Fall ist in Deutschland zu verzeichnen, wo einem Unternehmen der Betrieb einer Atomanlage untersagt wurde. Das betraf 1988 (zeitweise) die Hanauer Brennelementeproduktion von NUKEM und (dauerhaft) deren Tochter Transnuklear. Ursache waren falsche Angaben über den Transport und die Lagerung von Fässern mit radioaktivem Inhalt. Vorausgegangen war ein dubioser Bestechungsskandal, in welchem sich Transnuklear Aufträge von Atomkraftwerken mit Provisionen erkauft hatte. Die Firma mit dem zweifelhaften Ruf existiert heute noch, sie ist im weltweiten Uran-Handel aktiv, und ansonsten vermarktet NUKEM, neben zwei anderen westlichen Unternehmen, Uran aus dem Atomwaffenprogramm der ehemaligen Sowjetunion. Diese erstaunliche Karriere ist ein Aufruf an die nukleare Gemeinde, es mit den gesetzlichen Vorschriften nicht so ernst zu nehmen. Kein Wunder, dass sie sich entsprechend gebärden. Der RWE-Chef Jürgen Großmann zieht mit einer Kampagne gegen das dreimonatige Moratorium der Bundesregierung zu Felde und droht erpresserisch mit Stromausfällen. Dass ein Atomgesetz tatsächlich einmal gegen ihre Interessen angewendet werden kann, liegt völlig außerhalb der Vorstellungswelt dieser Leute.

Hier gibt es einen Nachholbedarf. Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, Unterlassungen, Fehlinformationen und die Verweigerung von Verantwortung dürfen nicht mehr großzügig toleriert, sondern müssen angemessen, unter Berücksichtigung der möglichen Folgen solchen Handelns, bestraft werden, damit sich überhaupt ein Unrechtsbewusstsein einstellt. Von späteren Entschuldigungen hat niemand etwas.

Zusammengefasst dürfen die acht Reaktoren, die von der Bundesregierung zunächst für 3 Monate abgeschaltet wurden, nicht wieder ans Netz gehen. Vier weitere Reaktoren, Gundremmingen B und C, Neckarwestheim 2 und Brokdorf, sind sofort abzuschalten und stillzulegen. Die Erkundung des Gorlebener Salzstocks ist zu beenden, der Plan Gorleben ist aufzugeben. Vattenfall scheidet als AKW-Betreiber aus. E.on und RWE sind einer wirksamen öffentlichen Kontrolle zu unterstellen. Im Management der großen Energiekonzerne müssen umfangreiche Umbesetzungen stattfinden. Dann sehen wir weiter.

Thomas Kieseritzky und Detlef zum Winkel sind AKW-Gegner seit 35 Jahren.Detlef zum Winkel publiziert im Monatsmagazin konkret. Thomas Kieseritzky war früher Mitglied der Frankfurter Grünen.

(*** Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder***)

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Hintergründe Störfälle

Update 13.04.2011, 01:00 (und zurückliegende Tage ….)

INES Stufe 7: Endlich werden die Realitäten eingestanden, Fukushima ist in seiner Gesamtwirkung mindestens Tschernobyl vergleichbar, wenn nicht gar schlimmer. Zwar gab es in Tschernobyl eine Explosion des Reaktorkernes, DIE fehlt (noch?) in Fukushima. Das Leck im Reaktordruckbehälter des Reaktors 2 setzte allerdings bisher bereits etwa 1/10 der Radioaktivität von Tschernobyl frei und ist immer noch offen. Über Lecks in den beiden anderen Reaktoren weiß man nichts, aber eben auch nicht, dass es KEINE gibt! Der Schaden im Abklingbecken 4 ist nach wie vor unkalkulierbar auch hier gab es eine Kernschmelze. Dass noch weitaus mehr Freisetzung an Radioaktivität folgen könnte, ist vorläufig nicht auszuschließen. Und die Radioaktivität wird nicht weitflächig verteilt, sondern lokal! Die Folgen werden sein, ein riesiges Gebiet wird dauerhaft unbewohnbar, die Belastung in den weiter weg liegenden Gebieten wird ebenfalls noch zu gesundheitsschädlichen Folgen führen: Tausende von Toten und Erkrankten wie nach Tschernobyl! Japans Wirtschaft wird sich auf etliche Jahre nicht erholen und falls doch noch Tokio von großen Mengen Radioaktivität getroffen wird, wird die Weltwirtschaft endgültig in die Knie gehen …

Japan ruft höchste Gefahrenstufe aus

(Tagesschau) Japan bewertet die Atomkatastrophe von Fukushima nun als ebenso gravierend wie das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986. Die Katastrophe werde auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse („Ines„) auf die höchste Stufe 7 („Schwerste Freisetzung: Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in einem weiten Umfeld“) statt bislang 5 eingeordnet, teilte die japanische Atomaufsicht (NISA) in Tokio mit. Gefahrenstufe 7 bedeutet, dass es Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt in einem weiten Umfeld gibt. Die Strahlung stamme überwiegend aus Reaktor 2, wo es am 15. März zu einer Explosion gekommen war.

Wir haben die Einstufung auf 7 angehoben, weil die Auswirkungen der Strahlung umfassend sind, in der Luft, im Gemüse, in Leitungs- und Meerwasser„, sagte NISA-Sprecher Minoru Oogado. Die Menge der Radioaktivität, die aus dem AKW ausgetreten sei, entspreche etwa zehn Prozent der Menge, die in Tschernobyl freigesetzt worden sei. Es handele sich um eine vorläufige Einordnung, betonte die Atomaufsicht. Die endgültige Bewertung müsse die Internationale Atomenergiebehörde vornehmen. Die NISA verwies darauf, dass es – anders als in Tschernobyl – in Fukushima bislang keine Explosionen im Reaktorkern gegeben habe. (Focus) Das radioaktive Leck könnte jedoch die in Tschernobyl freigesetzte Menge noch übertreffen, berichtete Kyodo unter Berufung auf den Betreiber Tepco.

 

Fukushima schlimmer als Tschernobyl?

(blog Tagesschau von Axel Weiß 8. April 2011 16:02 Uhr, gekürzt)

Über die gesundheitlichen Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl etwa besteht heute, 25 Jahre später, kein allgemeiner Konsens. Daraus folgt: Natürlich könnten die Folgen von Fukushima die von Tschernobyl übertreffen. Ob sie das wirklich tun, ist damit freilich nicht gesagt. Denn was die Folgen sind ist ja strittig. Bis zu 800.000 Aufräumarbeiter wurden angeblich damals eingesetzt, um den explodierten Reaktor in der Ukraine und seine Umgebung zu säubern. Wie viele krank wurden – keiner weiß das unstrittig. Sicher ist: es gab in der Ukraine, Weißrussland und Russland seither deutlich mehr Schilddrüsenkrebs und Leukämie. Unbestritten starben rund 50 Menschen durch die Strahlenkrankheit. Sie hatten in kurzer Zeit sehr hohe Dosen Radioaktivität erhalten. Die Gesamtzahl der Strahlentoten liegt über 4.000, auch das ist aber nur eine umstrittene Minimalzahl für die am stärksten belasteten Regionen um den Unglücksreaktor. Umweltschutzorganisationen nennen insgesamt weitaus höhere Zahlen, teilweise ist von hunderttausenden Toten vor Ort und europaweit die Rede. Krebs kann viele Ursachen haben. Jede zusätzliche Strahlenbelastung kann vielleicht der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und eine individuelle Erkrankung auslöst.
Fukushima könnte Tschernobyl „toppen“ – gegen diese These spricht, dass die Hauptstrahlenbelastung durch Tschernobyl in den ersten zehn Tagen vor allem durch radioaktive Teilchen mit sehr kurzer Zerfallszeit erfolgte wie Jod 131. Die vergleichbaren Werte liegen in Japan offiziell ungefähr um den Faktor Zehn niedriger. Der Brand im russischen Grafitreaktor schleuderte große Mengen Partikel sehr hoch, so dass sie der Wind großflächig verbreiten konnte. Ein solcher Brand fehlt in Fukushima.
Aber dafür befindet sich mit Tokio ein dicht besiedelter Großraum in gefährlicher Nähe zu den AKW. 250 Kilometer ist nicht viel, einen ersten Vorgeschmack haben die Bewohner bereits kürzlich erhalten, als radioaktives Jod im Trinkwasser der Großstadt nachgewiesen werden könnte. Und noch ein Unterschied zu Tschernobyl: es sind gleichzeitig mehrere Reaktoren betroffen sowie mehrere Abklingbecken mit alten Brennstäben, deren Kühlung auch immer wieder Probleme bereitet.

 

Abläufe in Reaktor 2

(wikipedia, abgerufen am 13.4.0:30 Uhr) … Am 15. März ab 0:00 Uhr wurde Druck aus dem Reaktor abgelassen. Um 6:20 Uhr ereignete sich eine Explosion. Gleichzeitig fiel der Druck in der Kondensationskammer (= Kühlung um den Reaktorkern) ab, was darauf hindeutete, dass diese beschädigt wurde und sich möglicherweise auch die Explosion dort abspielte. Anders als bei den Explosionen in den Blöcken 1, 3 und 4 blieben die Außenwände des Reaktorgebäudes 2 weitgehend intakt. Ab 08:25 wurde aus Block 2 aufsteigender weißer Dampf und/oder Rauch beobachtet, der aus mindestens einem Loch in der Gebäudehülle entwich und auch an den nachfolgenden Tagen noch zu beobachten war

Am 16. März schätzte Tepco, dass ein Drittel der Brennstäbe von Block 2 defekt sei; die Brennstäbe lägen teilweise frei. Trotz Einspeisen von Wasser gelang es nicht, den Wasserstand im Reaktor zu erhöhen. Dies deutete auf Lecks im Reaktordruckgefäß hin.

Am 20. März gegen 15:00 Uhr wurde mit dem Einfüllen von Meerwasser in das Abklingbecken von Block 2 begonnen. Um 15:46 Uhr wurde die externe Stromversorgung des Blocks wiederhergestellt. Zwischen dem 21. März um 18:22 Uhr und dem 22. März um 7:11 Uhr trat erneut weißer Dampf oder Rauch aus dem Reaktorblock aus. Ab dem 22. März wurde – jeweils im Abstand von mehreren Tagen – Meerwasser in das Abklingbecken von Block 2 eingefüllt. Seit dem 26. März wird wieder Süßwasser statt Meerwasser in den Reaktordruckbehälter eingespritzt.

Am 26. März maß Tepco im Untergeschoss des Turbinengebäudes von Block 2 (laut JAIF) eine sehr hohe Strahlung von mehr als 1000 mSv/h an der Oberfläche des Wassers, das sich dort angesammelt hatte. Am folgenden Tag wurden ähnliche Strahlungswerte auch im Wasser eines Tunnels außerhalb des Turbinengebäudes von Block 2 entdeckt, durch den Rohre verlaufen. Daraufhin teilte die japanische Regierung am 28. März mit, dass sie von einer vorübergehenden Teil-Kernschmelze in Reaktor 2 ausgehe.

Am 2. April entdeckte Tepco in einem betonierten Kabelschacht nahe dem Wassereinlass von Block 2 einen 20 Zentimeter langen Riss, aus dem radioaktiv hochkontaminiertes Wasser in den Pazifik floss. … Am 6. April konnte Tepco das Leck dann mit einem Abdichtmittel auf Wasserglas-Basis verschließen.

Nach Angaben der NISA war der Großteil des kontaminierten Wassers in den zwei Tagen nach Beschädigung der Kondensationskammer am 15. März freigesetzt worden, aber geringere Mengen von Wasser flossen auch im April noch aus dem Reaktor und gelangten über verschiedene Kanäle und Schächte ins Meer.

 

China warnt Japan vor Verseuchung des Meeres

(ZDF Heute) Die Situation im zerstörten AKW Fukushima macht China zunehmend Sorgen. Grund: abfließendes radioaktives Wasser in den Pazifik. Jetzt fordert Peking von Japan Schutz für den Ozean. Zuvor hatte Japan für Fukushima die höchste Gefahrenstufe ausgerufen.

Japan müsse China und andere Nachbarn zeitnah und angemessen über neue Entwicklungen informieren, forderte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao in einem Telefonat mit seinem japanischen Kollegen Naoto Kan, wie Staatsmedien berichteten. „Wir fordern die japanische Regierung auf, die Besorgnisse über die Auswirkungen auf die maritime Umwelt und benachbarte Länder ernst zu nehmen.“ Chinas Gesundheitsministerium forderte die Behörden in 14 Küstenregionen auf, das Meerwasser beständig auf Radioaktivität zu untersuchen. Aus Angst vor Verstrahlung boykottieren viele Chinesen bereits den Verzehr von Fisch, der vor der Küste von Dalian in Nordostchina unweit der koreanischen Halbinsel und Japan gefangen wird.

 

WHO spielt Gesundheitsgefährdung durch Fukushima herunter

(Greenpeace, gekürzt) In den letzten Wochen wurde über tausendfache Grenzwertüberschreitungen für radioaktive Stoffe durch die havarierten Reaktoren in Fukushima berichtetet. Doch das für den Westpazifik zuständige Büro der UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) spielt die Gesundheitsrisiken herunter. In der Zusammenfassung zu ihrem letzten Situationsbericht vom 6. April teilte die WHO beispielsweise mit, die im Seewasser am 3. April gezogenen Proben lägen unter den zulässigen Grenzwerten für Jod-131, während Medien am selben Tag berichteten, dass im Meer eine Strahlendosis gemessen worden sei, die den Grenzwert um das 4.000-fache übertrifft.

Die Luftbelastung außerhalb der Evakuierungszone um Fukushima bezeichnete die WHO am 4. wie am 6. April als stabil. Sie liege zwar über den Werten vor der Nuklearkatastrophe – es sei jedoch nicht von Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung auszugehen. Dies widerspricht den Messungen von Greenpeace. 30 Kilometer von der Atomruine entfernt stellte das Greenpeace-Team Strahlung bis zu 47 Mikrosievert pro Stunde fest. Bei solchen Werten ist die erlaubte maximale Jahresdosis in weniger als 24 Stunden erreicht.

Hintergrund für das kontinuierliche Herunterspielen der Gefährdungen durch die aus Fukushima entweichende Strahlung ist eine Vereinbarung der WHO mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) aus dem Jahre 1959. In dieser Vereinbarung gewährt die WHO der IAEO die Kontrolle über alle Gesundheitsstudien zu Folgen radioaktiver Strahlung und billigt damit, dass sie in ihrer Arbeit eingeschränkt wird.

Die WHO war bereits in ihrer Bewertung der Tschernobyl-Katastrophe kritisiert worden. Auch bei Fukushima spielt die WHO das Ausmaß des Unglücks, der freigesetzten Strahlung und der damit zusammenhängenden Gesundheitsgefährdung herunter.

(Autorin: Simone Miller)

 

(Greenpeace) Radioaktives Cäsium auf Spielplätzen, in Gärten, im Supermarktgemüse – das Leben im weiteren Umkreis um die Atomruine Fukushima Daiichi wird immer gefährlicher. Noch 60 Kilometer entfernt hat das Greenpeace-Messteam deutlich erhöhte Werte in Bodenproben festgestellt. Die Bevölkerung braucht dringend mehr Schutz.

Die Messergebnisse von Greenpeace finden sich auf zwei Karten hier (ACHTUNG: 2 (!!) Karten!)

 

Aktueller Stand AKW-Planungen nach Fukushima

(wikipedia „Weitere Staaten“) Einige Staaten wie Indien, Pakistan, Russland, die Schweiz und Spanien kündigten eine Prüfung ihrer laufenden Kernkraftwerke an. Venezuelas Präsident Hugo Chávez und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärten, sie wollten Pläne für das jeweils erste Kernkraftwerk in ihren Ländern stoppen. China fror die Genehmigungen für alle neuen Kernkraftwerke ein. US-Präsident Barack Obama veranlasste eine Sicherheitsprüfung aller US-Atomkraftwerke.

Frankreich, Indonesien, die Niederlande, die Türkei und Vietnam wollen an ihren Plänen für neue Kernkraftwerke festhalten.

 

weltweite Diskussion um Ausstieg

Bei Google gibt es einen interessanten Überblick über die weltweite Diskussion zur Atomfrage, hier einige Auszüge:
Atomkraftwerk Koeberg

Business as usual in Südafrikas Atompolitik Das südafrikanische Kabinett hat Mitte März 2011 einen nationalen Energie- und Elektrizitätsplan verabschiedet, der einen massiven Ausbau der Atomenergie vorsieht. Umweltgruppen machen dagegen mobil

Pakistan kann einen GAU nicht bewältigen Pakistans Behörden behaupten, ein vergleichbares Unglück wie in Fukushima könne sich in Pakistan nicht ereignen. Doch das Atomkraftwerk nahe der 15-Millionen-Stadt Karatschi ist bereits seit 1972 am Netz. Über den Betrieb des alten Meilers ist wenig bekannt. >>>Mehr auf boell.de

Keine Atom-Debatte in Russland Anders als in Deutschland hat der japanische Atom-Unfall in Russland keine Debatte über das Atomprogramm ausgelöst. Eher wundert man sich über die „Atompanik“ der westlichen Länder. Jens Siegert, Moskau

In den USA und seiner Hauptstadt Washington DC wird der Atomunfall im japanischen Unfall sehr distanziert diskutiert. Konsequenzen für die eigene Energiepolitik ziehen die wenigsten, die Uhren ticken anders. Mehr auf Klima-der-Gerechtigkeit.

 

AKW San Onofre und Diablo Canyon, USA

Das kalifornische AKW San Onofre liegt „auf halbem Weg zwischen der südkalifornischen Millionenstadt San Diego und der Megametropole Los Angeles. Mehr als sieben Millionen Menschen leben im Umkreis von nur 80 Kilometern, weit mehr als im selben Radius um Fukushima. Drei aktive Bruchlinien befinden sich in unmittelbarer Nähe, darunter der berüchtigte San-Andreas-Graben. Mehr …

 

AKW Indian Point in New York State, USA

Angesichts der Atomkatastrophe in Japan drängt der Gouverneur des Bundesstaates New York darauf, das Atomkraftwerk Indian Point abzuschalten. Kein Wunder, der Uraltmeiler liegt keine 60 Kilometer von Manhattan entfernt und gilt als erdbebengefährdet. Mehr…

 

AKW Calvert Cliffs, Maryland, USA

Selbst in den USA kommt es trotz Milliarden-Subventionen nicht zu einem Atom-Revival kommt. Der neu geplante Reaktor in Calvert Cliffs im Bundesstaat Maryland steht vor dem Aus. Dem Investor Constellation war die Vertragsabschlussgebühr für die Inanspruchnahme der staatlichen Bürgschaft über 7,6 Mrd. US-Dollar zu teuer. Mehr auf Klima-der-Gerechtigkeit.

Quellen:

https://www.focus.de/panorama/welt/tsunami-in-japan/atomstoerfall-japan-ruft-hoechste-gefahrenstufe-fuer-fukushima-aus_aid_617506.html

https://www.tagesschau.de/ausland/japan822.html

https://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/who_spielt_gesundheitsgefaehrdung_durch_fukushima_herunter/

https://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/60_kilometer_von_fukushima_daiichi_caesium_in_bodenproben/

https://maps.google.de/maps/ms?ie=UTF8&hl=de&vps=2&jsv=329b&oe=UTF8&msa=0&msid=208230034271644213879.0004a02d66c3eebad00f0

https://blog.tagesschau.de/2011/04/08/konnten-die-folgen-von-fukushima-die-von-tschernobyl-noch-ubertreffen/

https://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/10/0,3672,8232266,00.html

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Hintergründe Störfälle

Was in Fukushima vermutlich geschah …

Die wesentliche Chronologie der Ereignisse im Einzelnen (nachträgliche Änderungen rot gekennzeichnet!)
(Quelle: Wikipedia, abgerufen am Abend des 30.03.2011 sowie weitere, s. Fußnoten)
(Klammer kursiv = Ergänzungen des Verfassers, Text in Times Roman: Ergänzungen anderer Quellen)

11. März (Tag 1, Samstag)

  • 14:46 Uhr Ortszeit (06:46 Uhr MEZ): Japan wird im Nordosten vom schwersten Erdbeben seiner Geschichte erschüttert. Nach wenigen Minuten trifft eine erste Flutwelle auf die dortige Küste.[1]
  • ca. 15:40/16:00 Uhr (08:00 Uhr MEZ, ohne genaue Zeitangabe, gesamter Küstenbereich): Eine weitere bis zu 23 Meter hohe Flutwelle (Tsunami) trifft auf die Nordostküsten Japans. Die Höhe hängt mit der lokalen Küstenstruktur und dem Vorhandensein von Flussmündungen zusammen. (Die Welle in Fukushima ist laut Spon 14 m hoch)

 

12. März (Tag 2, Samstag)

  • 14:00 Uhr: Die Atomsicherheitsbehörde teilt mit, dass in Fukushima I möglicherweise eine Kernschmelze begonnen habe.
  • 15:36 Uhr: Im Atomkraftwerk Fukushima I kommt es zu einer Wasserstoffexplosion. Das Dach und die Wände des Reaktorgebäudes 1 werden zerstört, Rauch steigt auf. Vier Arbeiter werden dabei verletzt. Einer Stellungnahme der Regierung zufolge wurde der Sicherheitsbehälter (= Reaktordruckbehälter) nicht beschädigt, die Strahlungswerte am Werkstor sollen 70-fach über den Normalwerten gelegen haben.

 

13. März (Tag 3, Sonntag)

  • Erhöhte Radioaktivität
    Am 13.03. um 11.13 Uhr Ortszeit habe nach Angaben der Presseagentur Kyodo die Behörde ein Leck in Block 1 vermutet. Anlass dazu gäben Ortsdosisleistungsmessungen mit Werten über 1,2 mSv/h. Nach Informationen von CNN habe der Regierungssprecher Edano (um 12.06 Uhr Ortszeit, 13.03.) gesagt, dass sich möglicherweise eine Kernschmelze ereignet haben könnte.
  • 16:00 Uhr: Die japanische Regierung spricht von der Möglichkeit einer bevorstehenden weiteren Explosion in Fukushima I. Im Reaktorblock 3 gebe es möglicherweise ebenfalls eine partielle Kernschmelze.
  • Plutoniumfreisetzung droht
    Der havarierte Reaktor 3 in Fukushima wird mit sog. MOX-Brennstäben gefahren[1]. Diese Recycling-Brennstäbe bestehen aus mehreren Uran- und Plutoniumoxiden.

 

14. März (Tag 4)

  • 11:45 Uhr: Im Kernkraftwerk Fukushima I ereignet sich im Reaktor 3 eine Wasserstoff-Explosion. Elf Menschen werden verletzt. Nach Angaben des Betreibers TEPCO bleibt die Stahlhülle des Reaktors (= Containment) intakt.
  • Eine teilweise Kernschmelze hat möglicherweise im Reaktor 2 des japanischen Kernkraftwerkes Fukushima I stattgefunden. Dies teilte die Betreiberfirma Tepco mit. Ein erster Versuch, den Reaktor mit Meerwasser zu kühlen, ist fehlgeschlagen. [2]
  • 21:55 Uhr: Im Kernkraftwerk Fukushima I droht nach der Erklärung von Regierungssprecher Yukio Edano eine Kernschmelze in drei Reaktoren. Im Areal um das AKW wird eine erhöhte Radioaktivität festgestellt.
    (man beachte den Widerspruch!)

 

15. März (Tag 5)

  • 06:15 Uhr: In Fukushima I kommt es im Reaktor 2 zu einer Explosion – die dritte in dem AKW. Dieses Mal wird von einem Druckabfall, berichtet, was auf eine Beschädigung der Reaktorhülle (gemeint ist: des Reaktordruckbehälters) selbst hindeute, sagt TEPCO.
  • 08:54 Uhr: Im Block 4 (vermutlich im Abklingbecken) bricht ein Feuer aus und es gibt eine Wasserstoffexplosion.
  • 12:16 Uhr: Nach Regierungsangaben wurde bei der dritten Explosion erstmals eine innere Schutzhülle (Containment Reaktor 2) beschädigt.
    Nach den Explosionen gab es mit bis zu 12 mSv/h die bislang höchste Radioaktivität-Freisetzung bisher.[3]

 

16. März (Tag 6)

  • 05:45 Uhr: die japanischen Behörden melden, dass ein Feuer im Block 4 entdeckt worden sei.
  • Greenpeace meldet um 00.55 Uhr: „Die Brennstäbe in zwei Reaktoren des AKW Fukushima sind nach Angaben des Betreibers Tepco bereits erheblich beschädigt. In Reaktor 1 seien bereits rund 70 Prozent der Brennstäbe beschädigt, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo am Mittwoch. In Reaktor 2 seien es etwa 33 Prozent.[4]

 

20. März (Tag 10)

  • Verantwortliche des Atomkomplexes Fukushima haben bekannt gegeben, dass in zwei von sechs Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente in dem Kernkraftwerk die Lage wieder unter Kontrolle sei. Die Temperatur in den Becken sei in einen normalen Bereich abgekühlt. In den anderen Blöcken wird an der Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken weiter mit Hochdruck gearbeitet.[5] (Übersetzt:  In allen sechs Reaktoren war die Lage in den Abklingbecken außer Kontrolle und in vier von sechs ist sie es immer noch!)

21. März (Tag 11)

  • Aus dem Reaktor 3 des AKW Fukushima steigt gräulicher Rauch aus. Die Arbeiter wurden abgezogen und mussten Schutzräume aufsuchen. Zuvor war über Block 3 grauer Rauch aufgestiegen, der mittlerweile aber wieder verschwunden ist. Kaum hat sich die Rauchwolke aus Block 3 verzogen, steigt nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo nun über dem havarierten Reaktor Nummer 2 Rauch auf. Dieser ist seit Sonntag wieder an das Stromnetz angeschlossen.[6]

 

23. März (Tag 13)

  • In Trinkwasser in fünf Orten der Präfektur Fukushima ist für Babys ein zu hoher Wert an radioaktivem Jod festgestellt worden. Auch in Gemüse waren schon sehr hohe Werte festgestellt worden. Sorge bereitet Fachleuten auch die starke radioaktive Belastung, die im Meerwasser vor der Küste Japans gemessen wurde. Regierungssprecher Yukio Edano sagte dazu, es sei noch zu früh, um die Auswirkungen der Verstrahlung auf Fische im Meer und auf Pflanzen zu beurteilen.[7]

 

23. März (Tag 13)

  • 17 Arbeiter haben laut Kyodo eine Strahlenbelastung von mehr als 100 MSv erlitten. Rund zwei MSv beträgt der Wert, den ein Mensch in Deutschland jährlich an natürlicher Hintergrundstrahlung abbekommt.[8]

 

25. März (Tag 15)

  • Eine Verstrahlung von Arbeitern mit 10.000-fach erhöhter Radioaktivität im AKW Fukushima deutet nach Einschätzung der japanischen Behörden auf eine erhebliche Schädigung des Reaktorblocks 3 hin. Experten der Reaktorsicherheitsbehörde (NISA) vermuten entweder eine partielle Kernschmelze mit einer Beschädigung des Reaktorbehälters oder eine Überhitzung des Abklingbeckens für abgebrannte Kernbrennstäbe.[9]

 

26. März (Tag 16)

  • Insgesamt ist in vier der sechs Reaktorblöcke des AKW Fukushima 1 radioaktiv belastetes Wasser festgestellt worden. Der Wasserpegel bei Reaktor 1 und 3 würde im Untergeschoss der Turbinenräume bis zu 40 Zentimeter beziehungsweise bei 1,5 Meter liegen, meldet die dpa. In den Reaktorblöcken 2 und 4 stehe das Wasser bis zu einem Meter beziehungsweise bis zu 80 Zentimeter hoch. Der Grund, warum das Wasser stark radioaktiv belastet ist, ist offiziell unklar.

 

27. März (Tag 17)

  • Tepco meldet, im Reaktor 2 des schwerbeschädigten japanischen Atomkraftwerks sei die Radioaktivität drastisch angestiegen. Die Strahlung im Wasser des Turbinenhauses sei auf einen Wert von zehn Millionen Mal über normal (bez. auf Meerwasser) gestiegen. Kabinettssekretär Yukio Edano sagte, das extrem radioaktiv verseuchte Wasser stamme „nahezu sicher“ aus einem Reaktorkern.[10]
  • Die Radioaktivität in Reaktor 2 erreichte am Sonntag einen Wert, der tödlich sein kann. Die von der Betreibergesellschaft Tepco im Reaktor gemessenen mehr als 1.000 MSv pro Stunde können nach Einschätzung der US-Umweltbehörde schwere Blutungen auslösen. Das Kraftwerk wurde am Sonntag umgehend evakuiert. Die Mitarbeiter, die die Messungen vornahmen, seien aus Reaktorblock zwei geflohen, bevor eine zweite Messung abgeschlossen war, hieß es.
    Kabinettssekretär Yukio Edano sagte im japanischen Fernsehen, das extrem radioaktiv verseuchte Wasser stamme „nahezu sicher“ aus einem Reaktorkern. Die genaue Ursache sei nicht bekannt. Befürchtet wurde ein Riss oder Bruch in einer der Schutzhüllen um einen Reaktorkern.[11] (Das wird lt. anderer Quellen, u.a. FAZ, vom Regierungssprecher Edano, „nahezu sicher“ bestätigt)

 

28. März (Tag 18)

  • Das, was viele bereits befürchtet haben, ist jetzt eingetreten: Im Reaktor 2 hat nach Einschätzung der japanischen Regierung vorübergehend eine Kernschmelze eingesetzt.
    Das sagte Regierungssprecher Yukio Edano am Montag. Die im dortigen Turbinengebäude im Wasser entdeckte hochgradige Radioaktivität sei auf die teilweise Kernschmelze zurückzuführen, sagte der Sprecher. Dort waren mehr als 1.000 MSv/h gemessen worden.[12]
  • Zum ersten Mal wurde am Montag auch außerhalb des Gebäudes von Reaktor 2 stark radioaktives Wasser entdeckt. In mehreren Kontrollschächten eines unterirdischen Kanals, der aus dem Turbinengebäude des Reaktors hinausführt, habe sich verstrahltes Wasser angesammelt, teilte ein Tepco-Sprecher mit. Die Radioaktivität betrage 1.000 MSv/h.[13]

 

30. März (Tag 20)

  • Anhand der niedrigen Druckwerte in Block 2 und 3 schlussfolgert die NISA auf einer Pressekonferenz, dass die Reaktordruckbehälter defekt sein könnten. Es wird jedoch ausgeschlossen, dass größere Schäden am Reaktordruckbehälter aufgetreten sind.[14]

 

Lage der Reaktoren:

Reaktor 1: Kein Kühlmittel im Reaktordruckbehälter. Schmelze oder Explosion des Reaktordruckbehälters jederzeit möglich. Vermutlich Schäden am Reaktorcontainment.

Reaktor 2: Das Gleiche, Kernschmelze, Reaktordruckbehälter stark beschädigt, vermutlich bereits seit dem 15.3., Schäden am Reaktorcontainment. Leck des Reaktordruckbehälters.

Reaktor 3: Vermutlich Schäden am Reaktorcontainment. Gefahr einer erhöhten Freisetzung von Plutonium durch den Einsatz von MOX-Brennelementen. Leck des Reaktordruckbehälters.

Reaktor 4: War außer Betrieb, daher keine Brennstäbe mehr im Reaktorcontainment. Alle Brennelemente liegen im Abklingbecken. Dort ist offenbar zumindest teilweise eine Kenschmelze eingetreten.

Da es in allen vier Reaktoren schwere Explosionen gegeben hat und offenbar alle vier bereits hochgradig verstrahlt sind, ist nicht zu erwarten, dass sich durch den Stromanschluss die Lage irgendwie bessert. Pumpen etc. dürfte weitgehend zerstört sein. Reparaturarbeiten vor Ort aufgrund der extrem hohen Strahlung wären unmöglich.

Reaktor 5 und 6: Beide waren ebenfalls außer Betrieb, die Abklingbecken scheinen noch intakt zu sein, die Kühlung allerdings ist auch hier fraglich. Da es keine Explosionen gab, könnte diese wieder ein Gang gesetzt werden durch Wiederanschluss an das Stromnetz. Das allerdings hängt davon ab, ob die Kühlpumpen noch intakt sind und mit Strom betrieben werden können.

Bewertung: Zumindest in den Rektorcontainments 1 bis 3 und im Abklingbecken vier laufen seit längerem Kernschmelzen. Entweder werden diese die Bodenbehälter bzw. Containments zerschmelzen (vermutete Temperatur der „Atomsuppe“ ca. 2.000°C, Schmelzpunkt der Stahlbehälter ca. 1.500 °C!) und dadurch wird dann extrem viel Radioaktivität freigesetzt oder es kommt in den Reaktorcontainments 1 bis 3 zu Wasserstoff/Knallgas-Explosionen mit derselben Folge. Eine Explosion des Reaktorcontainments 3 wurde vermutlich nur durch Anbohren und Freisetzen des Knallgasmischung (und Radioaktivität) verhindert[15].

Die Freisetzung von Radioaktivität aus dem Abklingbecken in Reaktor 4 läuft seit der Explosion (Becken, KEIN Containment!).

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_der_Katastrophe_in_Japan_von_2011

https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearunf%C3%A4lle_von_Fukushima-Daiichi

 

weitere Quellen (zitiert nach Wikipedia):
[1] JAIF (jap. Atom-Forum, Wirtschaftslobbyverband): “ Sequence of Developments at Nuclear Power Stations Affected by the Earthquake“ (engl.; auf deutsch etwa: Ablauf in den AKW´s nach dem Erdbeben. ) Reaktor Status Übersicht der Berichte

[4] The 2011 off the Pacific coast of Tohoku Earthquake Cumulative Number of Aftershocks (Magnitude>=5.0). JMA, 22. März 2011, abgerufen am 22. März 2011 (englisch).

[6] NISA Nuclear and Industila Savety Agency (Japan)

 


[1] u.a. https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,750668,00.html

[2] Tagesschau 14.03.2011 13:29 Uhr

[3] https://fukushima.grs.de/sites/default/files/Messwerte%20ODL%20Fukushima%20Daiichi_aufbereitet_RELEASE_110331-1700.pdf

[4] https://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/erdbeben_in_japan_regierung_ruft_atomaren_notstand_aus/

[5] (Focus) 20.03.2011, 15:01 Uhr:

[6] (Focus) 21.03.2011, verschiedene Meldungen

[7] (Spon) 23.03.2011, ca. 18:30 Uhr

[8] (dpa, zitiert nach GP)

[9] (Tagesschau) 25.03.2011:

[10] (Tagesschau) 27.03.2001, abgerufen um 15:00 Uhr

[11] (Spon), 27.03.2011, abgerufen um 15:00 Uhr:

[12] (MoPo) 28.03.2011

[13] (Spon) 28.03.2011

[14] https://www.bmu.bund.de/atomenergie_sicherheit/doc/47088.php

[15] (ARD, Tagesschau, 20.03.2011 05:39 Uhr)

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„Atom-Katastrophe in Tokio wäre nicht managebar“

Experte: Megacitys besonders verletzlich für Risikokaskaden 

Japans Unglücks-AKW: Tokio ist atomarer Bedrohung schutzlos ausgeliefert (Foto: Wikimedia Commons)

 

 

(von Johannes Pernsteiner) Würde sich die nukleare Katastrophe, die sich derzeit in der Region Fukushima anbahnt, im nur 240 Kilometer südlich gelegenen Tokio ereignen, wäre ihr die größte Stadt der Welt schutzlos ausgeliefert. „Planspiele einer Evakuierung Tokios bei einer radioaktiven Wolke werden vielfach nicht unternommen, da dies die Grenzen einer managebaren Katastrophe überschreitet“, erklärt der Risikoforscher Jörn Birkmann vom Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn https://www.ehs.unu.edu.

 

Evakuierung von 35 Mio. Menschen

Für ein Erdbeben oder eine Tsunamiwelle kann sich eine Megastadt durch Warnsysteme, Baustandards oder Notfall-Verhaltenstraining vorbereiten, was Japans Städte weit gründlicher getan haben als andere Megacitys in Erdbebengebieten wie etwa Istanbul oder San Francisco. Anders sieht es jedoch im Fall einer radioaktiven Wolke aus. „Vorher festlegbare Risiko- und Evakuierungszonen wie beim Tsunami gibt es hier nicht. Denn die von radioaktiven Wolken betroffenen Gebiete sind nur kurzfristig erkennbar, wie aktuell die Schwierigkeiten bei der Ausweisung von Evakuierungszonen um das Kraftwerk Fukushima zeigen“, so Birkmann.

Es gibt keine detaillierten Notfallpläne, wie der Ballungsraum Tokios mit 35 Mio. Menschen auf eine größere nukleare Katastrophe reagieren könnte. Evakuierungsgebäude mit Luft- und Wassernotversorgung seien bei diesen Dimensionen undenkbar, ebenso jedoch auch eine Evakuierung. „Selbst wenn die Mehrheit der Einwohner die Stadt selbstständig mit Zug oder Auto verlassen würde, fehlt es an Notunterkünften und auch an temporären Alternativwohnungen für die Zeit danach. Zudem leben in Tokio sieben Mio. Menschen über 65 Jahre. Benötigt auch nur die Hälfte davon Hilfe, wären das noch immer 3,5 Mio.“, erklärt der Experte für Verwundbarkeitsanalysen, Risikomanagement und adaptive Planung.

 

Auch Europa schutzlos

Deutlich wurde das Problem bereits 1995 beim Erdbeben von Kobe. „Es gab zu wenig Notunterkünfte und viele mussten teils im Freien bei Minusgraden übernachten. Auch jetzt gibt es große Probleme, Notunterkünfte mit grundlegender Infrastruktur wie Wasser, Heizung, Kommunikation in allen betroffenen Gebieten zur Verfügung zu stellen“, so Birkmann. Evakuierungsmaßnahmen werden stets nur für deutlich weniger Menschen und kleinere Gebiete geplant und simuliert. „Bei einem extremen Hochwasser in Köln etwa spricht man nur von maximal 50.000 Personen, die an einen sicheren Ort gebracht werden müssen.“

Eine Atomkatastrophe im Stadtgebiet von Tokio würde somit alle Grenzen des managebaren Risikos sprengen. Allerdings wären laut Birkmann auch europäische Millionenstädte im Ernstfall kaum besser dran. „Natürlich gibt es Szenarien für Bombenattentate, Hochwasser oder kleinere radioaktive Verseuchungen. Eine durchgeplante Evakuierung großer Ballungsräume ist dabei aber kaum planbar.“ Um ihr System unter enormem Stress aufrecht zu erhalten, sollten Städte überprüfen, welche ihrer Funktionen die überlebenswichtig seien, wozu der Experte die Versorgung mit Energie, Wasser und Nahrung zählt. „Moderne Mega-Citys in Industriestaaten sind erschreckend abhängig von der Verfügbarkeit von Strom.“

 

Lehre aus Japan: Risikokaskaden einplanen

Die Lehre aus der Situation in Japan ist für Birkmann, dass es nicht reicht, sich auf nur einen Gefahrentyp vorzubereiten. Risiken treten häufig in Kaskaden auf, was besonders für Industrieländer und Megacitys zum Problem werden könne. „Japan erlebte ein massives Seebeben und einen Tsunami, der für eine ganze Region Notunterkünfte und Katastrophenhilfe erforderte, dazu versagten kritische Infrastrukturen wie die Stromversorgung, die in einem AKW massive neue Risiken auslöste. Die atomare Bedrohung, die nun alles andere in den Hintergrund gedrängt hat, zeigt die mangelnde Vorbereitung auf Risikokaskaden.“

Diese Erkenntnisse sollten in den Katastrophenschutz eingehen, fordert der Experte. „Einsatzkräfte wie etwa Feuerwehren sind bei kleinen, lokalisierbaren und zeitlich begrenzten Problemen schlagkräftig. Bei radioaktiven Unfällen mit Langzeitwirkung und räumlich nicht bekannter Ausbreitung versagen jedoch klassisch geprobte Mechanismen.“ Die Aufteilung von Verantwortlichkeiten und Pflichten zwischen privaten Betreibern, Haushalten und dem Staat brauchen bessere Klärung, etwa in der Information oder im Notfallmanagement. „Zudem muss man prüfen, wie sich Privathaushalte auf derart ‚undenkbare‘ Katastrophen vorbereiten können.“

Mag. Johannes Pernsteiner
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