Majak, Sowjetunion, 1957
Die verheerenden Waldbrände im August 2010 führten zu einer weiteren radioaktiven Belastung der Bevölkerung im Umland. Auf dem Gebiet der Fabrik ereigneten sich mehrere Unfälle, bei denen große Mengen an radioaktivem Material freigesetzt wurden, darunter auch der Unfall in Kyschtym im Jahr 1957, die bisher vom Schadensausmaß gravierendste nukleare Havarie, die weit mehr Schaden anrichtete als die Tschernobyl-Katastrophe.
Die aufzuarbeitenden Rückstände enthalten einen hohen Anteil an radioaktiven Nukliden. Diese wurden in Kyschtym in großen Tanks zwischengelagert. Dabei entsteht durch den radioaktiven Zerfall der Stoffe Wärme – die Tanks müssen deshalb gekühlt werden. Nachdem im Laufe des Jahres 1956 die Kühlleitungen eines dieser 250 Kubikmeter fassenden Tanks undicht geworden waren und deshalb die Kühlung abgestellt wurde, begannen die Inhalte dieses Tanks zu trocknen. Am 29. September 1957 explodierten die auskristallisierten Nitratsalze, ausgelöst durch einen Funken eines internen Kontrollgeräts (also eine chemische, keine nukleare Explosion), und große Mengen an radioaktiven Stoffen wurden freigesetzt – darunter langlebige Isotope wie Strontium-90, Cäsium-137 und Plutonium-239 (Halbwertszeiten[1] 29, 30, bzw. 24.110 Jahre, s. a. S. 225).
Insgesamt wurde durch den Unfall nach Angaben der Produktionsfirma Majak und der Behörden Materie mit einer Radioaktivität von 4 x 1017 Becquerel (400 PBq) [2] über einen Bereich von etwa 20.000 Quadratkilometer verteilt. Der Unfall ist damit von der Menge der freigesetzten Strahlung her vergleichbar mit der Tschernobyl-Katastrophe. Andere Quellen sprechen von deutlich höheren Mengen freigesetzter Radioaktivität. Etwa 90 Prozent der freigesetzten Radioaktivität verblieben auf dem Betriebsgelände, zehn Prozent wurde durch Winde bis zu 400 Kilometer in nordöstliche Richtung verteilt. In der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse stellt der Unfall von 1957 ein Ereignis der Kategorie sechs, der zweithöchsten, dar. (Tschernobyl ist das einzige Ereignis der Kategorie sieben, der höchsten Kategorie). Nach Angaben des Helmholtz Zentrums München wurden die Auswirkungen des Unfalls lange Zeit unterschätzt.
Im Unterschied zur Tschernobyl-Katastrophe wurde das Material nur lokal und regional verteilt. Entscheidend dafür war, dass der heftige Graphitbrand in Tschernobyl einen Großteil der Radionuklide hoch in die Atmosphäre hinauf beförderte, während hier aufgrund geringerer Thermik eine eher bodennahe Wolke entstand. Durch die infolgedessen hohe Konzentration der Radioaktivität, aber auch durch mangelnde Aufklärung, die nicht flächendeckende Evakuierung der Gegend und unzureichende Entseuchung entstand ein hohes Maß an Schäden und insbesondere Folgeschäden in der betroffenen Region.[3] Der größte Teil des radioaktiven Mülls nach dem Majak-Unfall wurde übrigens in den benachbarten Karatschai-See gekippt. Der gilt heute als einer der am stärksten radioaktiv verseuchten Regionen der Welt.[4]
Etwa 200 Menschen starben sofort durch die Strahlung, über 200.000 wurden verstrahlt, eine Fläche von 800 Quadratkilometer ist heute noch wegen der Strahlung gesperrt. 30.000 Menschen werden bis heute regelmäßig auf Strahlenbelastung untersucht, erfahren aber nicht ihre Ergebnisse. Die zuständige Gesundheitsbehörde wertet dies offen als „Langzeitversuch“.[5] Die Bevölkerung litt und leidet bis heute an einer hohen Zahl strahlungsbedingter Krankheiten, wie Leukämie.
Heute liegt in Majak eine der weltweit größten Produktionsstätten für Atommaterial, eine Wiederaufarbeitungsanlagen sowie ein Lager für radioaktive Abfälle.
Die verheerenden Waldbrände im August 2010 könnten zu einer weiteren radioaktiven Belastung der Bevölkerung im Umland führen: Ein Teil des seinerzeit hier niedergegangenen radioaktiven Materials – etwa 10% – wurde aber vom Wind nach Nordosten geblasen. Diese so genannte Ostural-Spur ist 40 Kilometer breit und 300 Kilometer lang. Die Böden dort sind nach wie vor hoch mit Strontium-90 und Cäsium-137 belastet, bis zu einem Drittel der ursprünglichen Belastung ist wohl noch vorhanden. Dieses Material würde durch die Brände mit der Asche wieder in die Luft gewirbelt. Menschen können das einatmen oder mit dem Essen aufnehmen. Vor allem Strontium ist gefährlich: Einmal aufgenommen, bleibt es für immer im Körper, da es als Ersatz für Calcium in die Knochen aufgenommen wird..
Aber auch in diesem Fall werden nur wieder die Menschen im Ural betroffen sein. Messungen des Bundesamts für Strahlenschutz haben gezeigt, dass Radioaktivität bei vergleichbaren Bränden in der Vergangenheit hier in Westeuropa nicht messbar war.[6]
[1] Die Zeit, in der die Hälfte des strahlenden Materials zerfällt
[2] Einheit für die Strahlungsmenge: 1 Bq = 1 Zerfall pro Sekunde, entspricht dem „Knattern“ des Geigerzählers, der jeden Zerfall akustisch anzeigt; PBq = Petabecquerel = 1015 Becquerel = 1 Billiarde Becquerel
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Kerntechnische_Anlage_Majak bzw.
https://www.akw-unfaelle.de/1957/09/29/geheimakte-majak-russland-1948-heute/
[4] https://www.swr.de/swr1/bw/nachrichten/-/id=1000258/nid=1000258/did=6753320/7yavbp/index.html
[5] ARTE, 13.10.2009, 21:00 Uhr: „Albtraum Atommüll“,
[6] https://www.swr.de/ ebenda